Wie kommt Baumwolle in den Lippenstift?

Einleitung

Ob Chanel, Dior, Estée Lauder, Babor, Lancôme oder Douglas, man findet immer häufiger den Namen hydriertes Baumwollsamenöl oder englisch hydrogenated cottonseed oil auf der Liste der Inhaltsstoffe von dekorativer Kosmetik oder Körperpflegeprodukten. Baumwollsamenöl, manchmal als auch Baumwollsaatenöl bezeichnet, wird aus den Samen der Baumwollpflanze gewonnen [1] und in vielen Ländern als Speiseöl geschätzt. Da die Baumwollpflanze ein natürliches Toxin gegen Insektenfraß enthält, muss das Öl jedoch zunächst raffiniert und das gesundheitsschädliche Gossypol entfernt werden. Das Resultat ist eine hellgelbe Flüssigkeit mit einem hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren und Vitamin E. 

In Kosmetikprodukten wird oft hydriertes Baumwollsamenöl aufgrund der höheren Stabilität eingesetzt. Der Begriff Hydrierung beschreibt die Anlagerung von Wasserstoff an ungesättigte Doppelbindungen in Gegenwart eines Katalysators und wird auch als „Härtung“ bezeichnet. Durch die Hydrierung wird aus dem hellgelben Öl ein weißliches oder fast weißliches Pulver. Allerdings bleiben durch diesen Prozess in der Regel noch einige ungesättigte Bindungen übrig. Neben gesättigten Fetten beinhaltet hydriertes Baumwollsamenöl deshalb in der Regel noch ca. 2 % ungesättigte Fettsäuren [2]. 

Als Kosmetikbestandteil besitzt hydriertes Baumwollsamenöl feuchtigkeitsspendende Eigenschaften, eine nicht fettende Textur und lässt die Haut glatt und weich anfühlen [3]. Es findet sich u.a. in Hautreinigungsprodukten, Liplinern, Eyelinern oder Lippenstiften.

Schmelz- und Kristallisationsverhalten

Hydriertes Baumwollsamenöl gehört wie alle Öle und Fette zur Gruppe der Lipide und besteht aus Triglyceriden verschiedener Fettsäuren, darunter Palmitinsäure und Stearinsäure. Der Schmelzbereich von Lipiden hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab, wie z. B. der Kettenlänge, der Kettenverzweigung, der Anzahl der Doppelbindungen, dem Grad der Veresterung sowie der Anordnung im Kristallgitter [4], da Fette und Öle in verschiedenen polymorphen Formen oder Modifikationen vorliegen können. 

Für die folgenden Untersuchungen wurde die NETZSCH DSC 300 Caliris®Classic eingesetzt, die sich durch einen geringen Platzbedarf auszeichnet und dadurch in (fast) jedes Labor passt. Tabelle 1 fasst die Messparameter zusammen.

Tabelle 1: Messparameter

GerätDSC 300 Caliris®Classic
ProbeHydriertes Baumwollsamenöl
Einwaageca. 6 mg
TiegelAl, geschlossen, kaltverschweißt
Temperaturbereich0 °C ... 90 °C
Heiz-/Kühlraten2, 5, 10 und 20 K/min
AtmosphäreN2

Messergebnisse

Im aktuellen Fall zeigt die Probe beim Aufheizen (Abbildung 1, blaue Kurve) einen breiten Schmelzbereich zwischen ca. 40 °C und 72 °C. 

In diesem Temperaturintervall sind mehrere endotherme Effekte zu erkennen: die signifikantesten liegen bei etwa 52 °C, 63 °C und 65 °C (jeweils Peaktemperatur). 

Bei der anschließenden kontrollierten Abkühlung (rote Kurve in Abbildung 1) beginnt die Substanz bei ca. 47 °C auszukristallisieren. Der Erstarrungseffekt ist nicht strukturiert.

Wird die Probe nach der Abkühlung ein zweites Mal aufgeheizt (erneut mit einer Heizrate von 10 K/min, hellblaue Kurve in Abbildung 2), ergibt sich ein ganz anderes Bild als in der 1. Aufheizung, was den polymorphen Charakter des hydrierten Baumwollsamenöls widerspiegelt. Neben zwei ausgeprägten endothermen Effekten bei 52 °C und 63 °C (jeweils Peaktemperatur) taucht dazwischen ein exothermer Effekt bei ca. 55 °C (ebenfalls Peaktemperatur) auf. Der endotherme Effekt bei 52 °C (hellblaue Kurve in Abbildung 2) stimmt in seiner Temperaturlage gut mit dem entsprechenden endothermen Effekt in der 1. Aufheizung (violette gestrichelte Kurve) überein. Der zweite endotherme Peak scheint gegenüber der ersten Aufheizung etwas nach links gerückt zu sein.

1) DSC-Messung an hydriertem Baumwollsamenöl, 1. Aufheizung und nachfolgende Abkühlung; Probenmasse: 6,1 mg, Heiz-/Kühlrate: 10 K/min
2) DSC-Messung an hydriertem Baumwollsamenöl, 1. und 2. Aufheizung; Probenmasse: 6,2 mg, Heizrate: 10 K/min

Variiert man die Heizrate während der 2. Aufheizung, gelingt es bei kleinen Aufheizgeschwindigkeiten (2 K/min, hellblaue Kurve in Abb. 3), den ersten endothermen Effekt gänzlich zu unterdrücken und den exothermen Peak vom zweiten endothermen Effekt zu separieren. Bei höheren Heizraten (5, 10 oder 20 K/min) tritt der erste, endotherme Effekt auf und wird mit zunehmender Aufheizgeschwindigkeit immer dominanter, bis die Exothermie bei einer Heizrate von 20 K/min vollständig kompensiert wird. 

Dem exothermen Peak im Bereich von 50 °C bis 55 °C könnte daher eine Strukturumwandlung zugrunde liegen. Zur Verifizierung dieser These sind jedoch weitergehende Untersuchungen z.B. mittels Röntgen-strukturanalyse notwendig.

3) DSC-Messungen an hydriertem Baumwollsamenöl, jeweils Aufheizungen; Probenmassen: 6,0 bis 6,3 mg, Heizraten: 2 bis 20 K/min; individuelle Skalierung

Fazit

Hydriertes Baumwollsamenöl ist ein hydriertes Pflanzen-öl, das als Alternative zu Hartwachsen in Kosmetika und Cremes eingesetzt werden kann [5]. Sein recht komplexes Schmelzverhalten lässt sich mit Hilfe der DSC 300 Caliris®Classic schnell und unkompliziert phänomenologisch beschreiben.

Literatur

  1. [1]
    https://www.cosmeticsinfo.org/ingredients/hydrogenated-cottonseed-oil/
  2. [2]
    https://en.wikipedia.org/wiki/Cottonseed_oil
  3. [3]
    https://www.100percentpure.com/pages/ingredient-hydrogenated-cottonseed-oil#:~:text=In%20addition%20to%20its%20moisturizing,suitable%20for%20all%20skin%20types
  4. [4]
    C. Reitz, PhD thesis, Extrudierte Fettmatrizes mit retardierter Wirkstofffreigabe, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, 2007, pp 11 – 13
  5. [5]
    https://file.wuxuwang.com/hpe/HPE6/HPE6_326.pdf