04.03.2021 von Dr. Natalie Rudolph, Silvia Kliem, Dr. Catherine A. Kelly

Verarbeitung von Biopolymeren: Wie thermische Analyse und Rheologie helfen

Biopolymere sind eine attraktive Alternative zu Polymeren, die aus fossilen Brennstoffen gewonnen werden, und werden heute hauptsächlich in der Verpackungsindustrie eingesetzt. Ihr Kristallisationsverhalten erschwert jedoch die Verarbeitung dieser neuen Materialien. Erfahren Sie, wie thermische Analyse und Rheologie Lösungen zur Untersuchung der relevanten Materialeigenschaften bieten.

Biopolymere sind eine attraktive Alternative zu Polymeren, die aus fossilen Brennstoffen gewonnen werden. Sie werden heute hauptsächlich in der Verpackungsindustrie eingesetzt. Nie zuvor war die Kunststoffindustrie so von Nachhaltigkeit getrieben wie heute. Der zunehmende Druck von Gesellschaft und Gesetzgebung, die nachhaltigere Alternativen fordern, lastet dabei auf der Verpackungsindustrie besonders schwer.

Was sind Biopolymere?

Der Begriff Biopolymere umfasst biobasierte Polymere sowie biologisch abbaubare Polymere. Sie können ölbasiert, aber auch eine Kombination aus beidem sein: biobasiert und biologisch abbaubar. Biobasierte Polymere weisen eine geringe CO2-Bilanz auf, die sich noch weiter verbessern lässt, wenn die Materialien recycelt werden. Biologisch abbaubare Kunststoffe stehen manchmal in der Kritik, weil sie sich oft nicht in der Umwelt, sondern nur unter sehr kontrollierten Bedingungen in Kompostieranlagen zersetzen.

Deshalb sind Materialien wie Polyhydroxybutyrat-Hydroxyvalerat (PHBV) besonders interessant, da sie biobasiert und bei Raumtemperatur biologisch abbaubar sind. So zersetzt es sich beispielsweise im Boden innerhalb von nur wenigen Wochen. Polyhydroxybutyrat (PHB) wird von bestimmten Bakterien als eine Form der Energiespeicherung erzeugt. Das reine Material ist hoch-kristallin (bis zu 80 %), recht spröde und auf konventionellem Wege schwer zu verarbeiten. Durch Copolmyerisation innerhalb der Bakterien entsteht jedoch PHBV mit guten mechanischen Eigenschaften.

Herausforderung #1: Sekundäre Kristallisation bei Raumtemperatur

Leider ändern sich diese Eigenschaften während der Lebensdauer der hergestellten Produkte durch fortgesetzte KristallisationAls Kristallisation bezeichnet man den physikalischen Vorgang der Verhärtung bei der Bildung und beim Wachstum von Kristallen. Bei diesem Prozess wird Kristallisationswärme frei.Kristallisation und somit Versprödung. Dies tritt oft innerhalb weniger Tage auf und macht das Materials selbst für den kurzfristigen Einsatz unbrauchbar. Eine Lösung ist die Zugabe anderer Polymere oder Oligomere, die die Sekundärkristallisation bei Raumtemperatur verringern oder sogar verhindern. Idealerweise ist das zugesetzte Material ebenfalls biobasiert.

Ein solch geeigneter Weichmacher für PHBV ist Polyethylenglykol (PEG) [1]. In einer Studie, die in den Labors von AMCASH und Jenkins an der Universität Birmingham durchgeführt wurde, untersuchte Dr. Kelly1,2 die Mischbarkeit dieses Blends. Die Forscher stellten unterschiedliche Mischungen aus PHB und niedermolekularem PEG her und untersuchten das Materialverhalten mit einem NETZSCH Kinexus Pro+ Rotationsrheometer. Zur Untersuchung der Mischbarkeit werden typischerweise Frequenzsweeps in Oszillation durchgeführt und die gemessenen Speichermodule über den entsprechenden Verlustmodulen in doppeltlogarithmischer Skalierung aufgetragen, um einen Han-Plot zu erstellen (Schema siehe Abb. 2). Han et al. stellten fest, dass jede mischbare Mischung eine gerade Linie aufweist, die mit dem reinen Material vergleichbar ist, und dass Abweichungen von dieser Linie auf Unmischbarkeit hinweisen [2].

Die hier untersuchten PHBV-PEG-Mischungen zersetzen sich jedoch während der Messungen und daher kann diese Methode nicht ohne weiteres angewandt werden. Aus diesem Grund wurde eine erstmals von Yamaguchi und Arakawa vorgeschlagene Modifikation für thermisch instabile Systeme verwendet [3]. Es wurden Zeitsweeps bei bestimmten Frequenzen durchgeführt. Die Messbedingungen sind in Tabelle 1 zusammengefasst und die Ergebnisse der Zeitsweeps für den Speichermodul sind in Abbildung 1 dargestellt.

Tabelle 1: Messbedingungen

MessmodusZeitsweeps in Oszillation
Geometrie20 mm parallele Platten
Temperatur185 °C
Abstand1 mm
Deformation0,5 %
Frequenzen0,25 – 25 Hz
Vorschmelzzeit5 Minuten
Abbildung 1: Gemessener Speichermodul in Abhängigkeit der Zeit für Frequenzen von 0,25, 1, 5 und 25 Hz (von unten nach oben)

Nach Beendigung der Messungen und Datenerfassung wurden sowohl die Daten von Speicher- als auch Verlustmodul gegen die Frequenz für jedes 60-Sekunden-Intervall aufgetragen. Anschließend wurde durch Überlagerung der Daten eine Masterkurve erstellt. Diese berechnete Masterkurve wurde herangezogen, um den korrigierten Speicher- und Verlustmodul zum Zeitpunkt t0 zu berechnen und die Han-Plots (Schema siehe Abbildung 2) zu erstellen. Für alle untersuchten Blends wurde die Mischbarkeit durch eine gerade Linie nachgewiesen, die mit der des reinen PHBVs vergleichbar ist.

Abbildung 2: Schema des Han-Plots mit Klassifizierung als mischbar oder unmischbar, abhängig von der Linearität der Ergebnisse

Weitere Einzelheiten über die Analyse sowie die Anwendung der rheologischen Daten zur Berechnung der Zersetzungsraten finden Sie in diesem Video (Englisch)!

Herausforderung #2: Verarbeitbarkeit zu dünnen Folien

In einer weiteren, am Institut für Kunststofftechnik der Universität Stuttgart durchgeführten Studie wurden biobasiertes Citrat als Weichmacher für die Verwendung beim Folienblasen untersucht. Aufgrund der geringen Viskosität und Schmelzfestigkeit von reinem PHBV wurde ein geeignetes biologisch abbaubares Additiv benötigt, um dessen Verarbeitbarkeit zu dünnen Folien zu verbessern. Die Forscher mischten das PHBV mit unterschiedlichen Mengen an Citrat (5 und 10 Gew.-%) als Weichmacher sowie geringen Mengen an Polyactid (PLA). Um den Einfluss des Additivs auf das Kristallisationsverhalten des Blends zu untersuchen, wurde eine NETZSCH-DSC 204 F1 Phoenix®® eingesetzt. Die Messbedingungen sind in Tabelle 2 zusammengefasst..

Tabelle 2: Messbedingungen

TiegelAl, gelochter Deckel
ProbengewichtCa. 11 mg
AtmosphäreN2
Temperatur-20 °C bis 200 °C mit 10 K/min (1. + 2. Aufheizung und Abkühlung)
Abbildung 3: Dynamische DSC-Messungen an PHBV-PLA-Blends mit unterschiedlchen Citratanteilen (grün: 0 Gew-%, blau: 5 Gew-%, pink: 10 Gew-%)

Abbildung 3 zeigt die Aufheiz- und Abkühlkurven des PHBV-PLA-Blends mit und ohne Citrat. Die Schmelz- und Kristallisationsenthalpien sind nach Abzug des Gewichtsanteils des Citrats für alle drei Zusammensetzungen vergleichbar (Analyseergebnisse wurden zur besseren Übersicht in der Grafik weggelassen) Im Fall des reinen PHBV-PLA-Blends sind die Peaks bei 175 °C (EndothermEin Phasenübergang oder eine Reaktion ist endotherm, wenn für die Umwandlung Wärme benötigt wird.endotherm, in der Aufheizung) und ca. 120 °C (ExothermEin Phasenübergang oder eine Reaktion ist exotherm, wenn von der Probe Wärme freigesetzt wirdexotherm, in der Abkühlung) dem Schmelzen bzw. der KristallisationAls Kristallisation bezeichnet man den physikalischen Vorgang der Verhärtung bei der Bildung und beim Wachstum von Kristallen. Bei diesem Prozess wird Kristallisationswärme frei.Kristallisation von PHBV zuzuschreiben. Der viel kleinere endotherme Peak bei 150 °C repräsentiert das Schmelzen der PLA-Komponente. Der Zusatzstoff Citrat verschiebt die Schmelz- und Kristallisationspeaks zu niedrigeren Temperaturen; im Fall des Blends mit einem Citrat-Anteil von 10 Gew.-% um fast 4 K. Dies hat einen erheblichen Einfluss auf den Materialabbau während der Verarbeitung, da die Extrusionstemperatur aufgrund des Weichmachers niedriger sein kann.

Diese Analyseergebnisse wurden durch Folienblasversuche validiert. Während die PHBV-PLA-Blends ohne Weichmacher nicht expandiert werden konnten, wurde die Extrusion mit 5 Gew.-%-Citrat verbessert. Erst mit 10 Gew.-% war es möglich, einen gleichmäßigen Extrusionsprozess zu erhalten und eine Schichtdicke < 25 µm zu erreichen.

Die gesamte Studie kann hier nachgelesen werden.

Rheologie und thermische Analyse als geeignete Analysemethoden für Biopolymeren

Diese zwei Studien zeigen Beispiele biobasierter Weichmacher für biobasiertes PHBV zur Herstellung von vollständig abbaubarem Verpackungsmaterial. Es ist erkennbar, dass beide Weichmacher Vorteile für verschiedene Anwendungen aufweisen, die eine unterschiedliche Verarbeitung als Schalen im Vergleich zu dünnen Folien erfordern. Es wurde festgestellt, dass sowohl rheologische als auch thermoanalytische Methoden eingesetzt werden können, um die Eigenschaften von Biopolymeren wie PHBV und insbesondere deren Verarbeitbarkeit zu analysieren. Besonders hilfreich ist, dass sowohl rheologische als auch thermoanalytische Verfahren im Vergleich zu  Verarbeitungsversuchen nur sehr geringe Mengen an Material erfordern, jedoch wertvolle Informationen über die Eigenschaften liefern können. Der Einsatz der richtigen Technik trägt dazu bei, unser Verständnis für diese relativ neue Materialklasse zu erweitern und die stetige Verbesserung und Marktreife zu ermöglichen, die wir so dringend benötigen.

1Über AMCASH an der Universität Birmingham

Das AMCASH-Projekt, ein kofinanziertes EFRE-Programm, wird von der School of Metallurgy & Materials an der Universität von Birmingham koordiniert. Das Projekt bietet regionalen, kleinen und mittleren Unternehmen (SME organisations) technische Unterstützung von einer Dauer von typischerweise 2 Tagen im Rahmen von Projekten im Bereich der Materialwissenschaften. Hier erfahren Sie mehr hier!

2Über das Jenkins-Labor an der Universität Birmingham

Das Labor beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Zusammenhang zwischen der chemischen Struktur, der Verarbeitung, der Mikrostruktur und den physikalischen Eigenschaften von thermoplastischen Polymeren (zahlreiche Polymere, Blends und thermplastische Verbundwerkstoffe) und darüber hinaus, mit der Frage, wie deren Eigenschaften durch jeden dieser Aspekte beeinflusst werden können. Hier erfahren Sie mehr hier!

3Über das Institut für Kunststofftechnik der Universität Stuttgart

Die Kompetenz des Instituts für Kunststofftechnik unter Leitung von Prof. Dr.-Ing. Christian Bonten umfasst den gesamten Bereich der Kunststofftechnik: Werkstofftechnik, Verarbeitungstechnik (Maschinenbau und Verfahrenstechnik) und Produktentwicklung. Hier erfahren Sie mehr hier!

Quellen

[1] Kelly AC, Fitzgerald AVL, Jenkins MJ. Control of the secondary crystallisation process in poly(hydroxybutyrate-co-hydroxyvalerate) through the incorporation of poly(ethylene glycol), Polymer Degradtaion and Stability. 2018; 148: 67-74, https://doi.org/10.1016/j.polymdegradstab.2018.01.003

[2] Yang H, Han CD, Kim JK. Kriechen (Rheologie)Creep is one of the earliest “controlled stress” rheometer tests that quite literally “creeps” the material, i.e. we measure over a relatively prolonged period the small movement (the creep defined as creep compliance, J) of the sample by applying a small constant stress.Rheology of miscisble blends of poly(methylmethacrylate) with poly(styrene-co-acrylonitrile) and with poly(vinylidene fluoride), Polymer. 1994; 35(7): 1503-1511

[3] Yamaguchi M,Arakawa K. Effect of thermal degradation on rheological properties for poly(3-hydroxybutyrate). Eur. Polym. J. 2006;42(7):1479-86

[4] https://www.kunststoffe.de/kunststoffe-zeitschrift/archiv/artikel/citrate-ermoeglichen-die-blasfolienextrusion-von-phbv-ohne-die-abbaubarkeit-zu-beeinflussen-11292093.html