29.09.2022 von Aileen Sammler

60 Jahre NETZSCH-Gerätebau: Die LFA im Einsatz für die Raumfahrt

Im September dreht sich alles um die Laser Flash Analyse. Wir freuen uns, Ihnen heute einen Erfahrungsbericht eines unserer langjährigen Kunden präsentieren zu dürfen, dem Österreichischen Gießerei-Institut. Lesen Sie über die LFA im Einsatz am Österreichischen Gießerei-Institut – Thermophysik für Raumfahrtanwendungen.

Abbildung 1: NETZSCH LFA 427 am Österreichischen Gießerei-Institut

Die LFA im Einsatz am Österreichischen Gießerei-Institut 

Das Österreichische Gießerei-Institut (ÖGI) ist das Gemeinschaftsforschungsinstitut der österreichischen Gießereiindustrie mit etwa 40 Mitarbeitern. Es beschäftigt sich mit Fragestellungen der Gießerei- aber auch der metalltechnischen Industrie. Das Forschungsangebot umfasst die Bereiche F&E, technische Beratung, Materialprüfung, Werkstoff- und Bauteiluntersuchung, industrielle Computertomographie, numerische Simulation und Fachausbildung.

Das ÖGI ist als Prüfstelle für 26 Prüfverfahren entsprechend der EN ISO/IEC 17025 akkreditiert. Im thermophysikalischen Labor werden Materialkennwerte wie WärmeleitfähigkeitDie Wärmeleitfähigkeit (λ mit der Einheit W/(m•K)) beschreibt den Transport von Energie - in Form von Wärme - durch einen Körper aufgrund eines Temperaturgefälles.Wärmeleitfähigkeit, Wärmeausdehnung, Wärmekapazität bis zu sehr hohen Temperaturen ermittelt. Die Daten sind bei jeder Werkstoffentwicklung von großer Bedeutung, aber auch als Eingangsparameter für Computersimulationen notwendig.

Das Werkstoffspektrum im thermophysikalischen Labor beschränkt sich jedoch nicht nur auf metallische Legierungen, die im festen und flüssigen Zustand charakterisiert werden. Es umfasst ebenfalls sandbasierte Formstoffe, die in der Gießereiindustrie Anwendung finden, Baustoffe wie Gips sowie unterschiedliche Hölzer bzw. Holzwerkstoffe, Gläser sowie keramische Werkstoffe.

Eine Voraussetzung, um dieses breite Werkstoffspektrum abdecken zu können, sind besonders verlässliche Messinstrumente. Mit NETZSCH-Gerätebau verbindet das ÖGI eine schon jahrzehntelange Zusammenarbeit. Alle im thermophysikalischen Labor am ÖGI befindlichen Geräte haben sich bewährt und sind außerordentlich lange, meist im Bereich von 20 Jahren, nutzbar. So auch zwei LFA 427 Anlagen, wobei sich eine Anlage schon seit 2003 in Betrieb befindet, die zweite seit 2015. Ein weiterer Vorteil der Anlagen von NETZSCH-Gerätebau ist die lange Verfügbarkeit von Ersatzteilen in Kombination mit einem hervorragenden und blitzschnellen Service.

 

Werkstoffe für die Raumfahrt

Einen wesentlichen Bestandteil im Werkstoffspektrum des ÖGI bilden mittlerweile auch Werkstoffe für Raumfahrtanwendungen. Das ÖGI ist hier in unterschiedlichen internationalen Forschungsprojekten und Kooperationen vertreten. Hierbei wird eine Vielzahl an Werkstoffen geprüft, neben metallischen Legierungen unter anderem auch kohlefaserverstärkte Kunststoffe, die in Satelliten und Raketenstufen eingesetzt werden. Jede Woche treten einige Tonnen Material von aufgelassenen Raumfahrzeugen in die Erdatmosphäre ein. Die Problematik besteht dabei im unkontrollierten Zerfall dieser Raumfahrzeugbruchteile. Internationale Abkommen fordern inzwischen entweder einen kontrollierten Wiedereintritt oder eine Risikobeurteilung für unkontrollierte Abstürze für jeden Neustart in die erdnahe Umlaufbahn. Zur Risikobewertung werden numerische Simulationen der thermischen und mechanischen Belastung bzw. des Verglühens beim Wiedereintritt durchgeführt. Um die Vorhersagemöglichkeit zu verbessern, werden hierfür valide Werkstoffdaten bis zu sehr hohen Temperaturen bzw. bis in die schmelzflüssige Phase benötigt. Das ÖGI konnte einen bedeutenden Beitrag bei der Charakterisierung der Werkstoffe leisten.

Eine besondere Herausforderung in der Charakterisierung stellen jedoch keramische Gewebe und Graphitschäume dar.  Diese werden als Schichtverbund für aufblasbare Hitzeschutzschilder (Advanced Inflatable Thermal Protection Systems) für Erd- sowie zukünftige Marsmissionen eingesetzt.

Da die Werkstoffkenndaten bis in den Temperaturbereich von weit über 1000°C benötigt werden, kommt zur Bestimmung der TemperaturleitfähigkeitDie Temperaturleitfähigkeit (a mit der Einheit mm2/s) ist eine materialabhängige Stoffeigenschaft zur Charakterisierung des instationären Wärmetransports. Sie gibt an, wie schnell ein Material auf eine Temperaturänderung reagiert.Temperaturleitfähigkeit bis in den Hochtemperaturbereich nur die Laser Flash-Methode infrage. Hierfür werden am ÖGI zwei LFA 427 von NETZSCH-Gerätebau eingesetzt. Der Vorteil der Laser Flash-Methode ist nicht allein der breite Temperaturbereich, sondern auch die Möglichkeit, die Gewebe und Graphitschäume unter unterschiedlichen Drücken und Gasatmosphären zu messen.

Abbildung 2: Schichtverbund aus keramischen Geweben und Graphitschäumen für aufblasbare Hitzeschutzschilder, http://www.efesto-project.eu/.

Neben der Herstellung geeigneter Proben, der schwer zu definierbaren Dicke der Gewebe und Graphitschäume, der teilweisen Inhomogenität, stellt die Porosität der Materialen eine zusätzliche Anforderung an die Messmethodik und Auswertung. Im folgenden Beispiel wurde jeweils ein Graphitschaum bzw. ein Aerogel in Argonatmosphäre geprüft. Die Abbildung 3a) zeigt das Messsignal (blau) über der Zeit für einen Graphitschaum, Abbildung 3b) für ein Aerogel. Aufgrund der porösen Struktur beider Materialen wird der Laserpuls nicht mehr vollständig an der Oberfläche absorbiert. Um die Absorption des Laserpulses in der Porenstruktur zu berücksichtigen, kommt in beiden Fällen das Penetrations-Modell der NETZSCH-Proteus®® LFA-Software zur Anwendung. Um parasitäre Wärmestromeffekte zu minimieren, wird ein Ende des Bereichs der Kurvenanpassung (rot) kurz nach dem Maximum gewählt. Im Falle von strahlungsdurchlässigen Materialien, wie dem Aerogel, wird das anfängliche Signal nicht in der Auswertung berücksichtigt.

Abbildung 3: Links: Signalverlauf und Kurvenanpassung für einen Graphitschaum
Rechts: Signalverlauf und Kurvenanpassung für ein Aerogel

Neben der thermophysikalischen Charakterisierung der unterschiedlichen Gewebe und Graphitschäume werden die thermophysikalischen Messungen mit anwendungsnahen Versuchen ergänzt. Um die thermische Belastbarkeit der Schichtverbunde zu testen, werden in der Versuchsgießerei des ÖGI die Schichtverbunde, wie sie bei Marslandungen geplant sind, bei Temperaturen von über 1000°C thermisch belastet. In ein System von thermischen Schutzschichten werden Thermoelemente zwischen den einzelnen Lagen integriert. Über einen Graphittiegel mit einer Kupferschmelze kann folgend der Verbund aus thermischen Schutzschichten plötzlich mit etwa 1100°C thermisch belastet werden (Abbildung 4a)). Die Temperaturen zwischen den Schichten werden gemessen, woraus der Wärmestrom durch das Schichtsystem bestimmt werden kann. Zur thermischen Isolierung gegenüber der Umgebung befindet sich das Schichtsystem während des Versuches in einer Form, bestehend aus einem keramischen Rahmen zur Fixierung und einem sandbasierten Formstoff mit geringer Wärmeleitfähigkeit aus einem hausinternen 3D-Drucker (Abbildung 4b)). Die Messergebnisse der Versuche stimmen sehr gut mit numerischen Simulationen überein, in welchen die Ergebnisse der LFA-Messungen der einzelnen thermischen Schutzschichten implementiert sind (Abbildung 5).

Abbildung 4: Links: Platzierung des Graphittiegels mit Kupferschmelze auf dem Schichtverbund aus thermischen Schutzschichten
Rechts: Schichtverbund mit Thermoelementen in einem keramischen Rahmen und Sandformstoff
Abbildung 5: Vergleich der Versuchsergebnisse der Thermoelement-Messungen des Schichtverbundes mit den Ergebnissen einer numerischen Simulation.

 

Vielen Dank an das Österreichische Gießerei-Institut in Leoben für diesen sehr interessanten Bericht. 
Wir freuen uns auf viele weitere Jahre partnerschaftliche Zusammenarbeit!

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