Dynamisch-mechanische Analyse bis 800 °C in der DMA 303 – Charakterisierung von Glaswerkstoffen

Einleitung

Der Werkstoff Glas ist in unserem Alltag allgegenwärtig. Ob als Fensterscheiben, als Lesebrille, Weinglas oder in elektronischen Bauteilen unserer Mobiltelefone – die Anwendungsbereiche von Glas sind vielseitig und facettenreich. Grundsätzlich handelt es sich bei Gläsern um amorphe Feststoffe, welche keine atomare Fernordnungsstruktur besitzen. Die am weitesten verbreiteten Gläser bestehen in erster Linie aus anorganischen oxidischen Verbindungen, wie Siliziumdioxid (SiO2) und Natriumoxid (Na2O), sowie weiteren Beimischungen [1]. Die Mischverhältnisse – beziehungsweise die Reinheit der Komponenten – bestimmen dabei die Eigenschaften und damit den Einsatzbereich. 

Reines Silikatglas, auch Quarzglas (engl. fused silica) genannt, ist eine spezielle Art von Glas, das aus hochreinem Siliziumoxid besteht und keine nennenswerten Verunreinigungen besitzt. Es zeichnet sich gegenüber anderen anorganischen Gläsern durch seine hohe Temperaturbeständigkeit, geringe Wärmeausdehnung, chemische Beständigkeit und Biokompatibilität sowie hohe optische Transparenz – die vom Ultravioletten bis zum Infraroten reicht – aus [2]. Basierend hierauf findet es beispielsweise Anwendung als Sichtglas im Hochtemperaturbereich, als Linse in Laseranlagen, in der Implantologie oder auch in Analysegeräten, wie Dilatometern.

Messung der thermomechanischen Eigenschaften vonGläsern mittels DMA

Die dynamisch-mechanische Analyse (kurz DMA) ist eine experimentelle Methode zur Untersuchung der viskoelastischen Eigenschaften von Materialien. Dabei wird die Reaktion des Materials auf periodische mechanische Belastungen untersucht, um Eigenschaften wie Elastizität, Viskosität und Dämpfung zu bestimmen. 

Der DMA 303 Eplexor® ist ein dynamisch-mechanisches Tischgerät, welches Gesamtkräfte von bis zu 50 N ermöglicht. Die Anlage zeichnet sich durch einen für Tischgeräte einzigartigen Temperaturbereich von -170 °C bis 800 °C aus. Auf Basis dieser Eigenschaften können nicht nur Materialien des Tieftemperaturbereichs, wie Polymere, sondern auch hochsteife Werkstoffe, beispielsweise Metalle, Keramiken oder Gläser, bis zu Temperaturen von 800 °C charakterisiert werden.

Messergebnisse

In Abbildung 1 ist die DMA-Messung eines konventionellen Kalknatronsilikatglases (engl. float glass, blaue Kurve), wie es bei Hausfenstern eingesetzt wird, im Vergleich zu reinem Silikatglas (fused silica, rote Kurve) von 100 °C bis 800 °C gegenübergestellt. Die Messung erfolgt in 3-Punkt Biegung mit einer freien Biegelänge von 20 mm und einer Frequenz von 1 Hz. Die kubischen Probenkörper besitzen eine Dicke von 1 mm und eine Breite von 10 mm, wobei die Außenkontur der Probe geschliffen wurde.

1) DMA-Messung an hochreinem Quarzglas (rot) und Kalknatronsilikatglas (blau) von 100 °C bis 800 °C bei 1 Hz

Sowohl das Kalknatronsilikatglas als auch das reine Silikatglas besitzen bei 100 °C einen Speichermodul E‘ knapp unter 70 GPa. Der Speichermodul E‘ beschreibt dabei die elastischen Eigenschaften des Materials, vereinfacht gesagt dessen Steifigkeit. 

Mit zunehmender Temperatur reduziert sich der Speichermodul des Kalknatronsilikatglas leicht und nimmt bei 500 °C einen Wert von circa 60 GPa an. Bei 566°C (extrapolierter Onset) tritt eine starke Abnahme des Speichermoduls E‘ sowie ein deutlicher Anstieg im tan δ auf. Der tan δ repräsentiert dabei die Dämpfungseigenschaften eines Werkstoffes bzw. dessen Energiedissipation.

Hierbei handelt es sich um den für amorphe Feststoffe charakteristischen Glasübergang (Tg). Bei Temperaturen unterhalb Tg sind Materialien meist fest und gegebenenfalls spröde. Im Glasübergang wird die kinetische Energie der Atome ausreichend groß, um die Zwischenbindungen zu überwinden. An diesem Punkt wird das Glas weicher und ist formbar. Aus diesem Grund wird die Messung bei Erreichen dieses Punktes nicht fortgesetzt, um Festschmelzen des Glases an der Probenhalterung zu vermeiden. 

Reines Silikatglas, wie in Abbildung 1 dargestellt, zeigt im Gegensatz dazu ein für Feststoffe eher untypisches Verhalten. Innerhalb des betrachteten Temperaturbereichs kommt es zu keiner Materialerweichung. Stattdessen nimmt der Speichermodul E' mit steigender Temperatur leicht zu. Babcock et al. [3] gehen von einer Koexistenz von zwei atomaren Nahordnungsstrukturen aus, welche unterschiedliche Bindungskräfte und Dichten besitzen. Mit ansteigender Temperatur bildet sich zunehmend die Struktur mit höheren atomaren Bindungskräften aus und das Material wird steifer. 

Das Beispiel veranschaulicht den Einsatz von reinem Silikatglas in Hochtemperaturanwendungen. Während reines Silikatglas auch für Temperaturen über 600 °C verwendet werden kann, würde konventionelles Kalknatronsilikatglas keine Formstabilität mehr gewährleisten.

Darüber hinaus illustriert dieses Beispiel, welch unterschiedliches Verhalten äußerlich sowie chemisch recht ähnliche Werkstoffe aufweisen können, und wie die dynamisch-mechanische Analyse dazu beiträgt, dies zu untersuchen.

Zusammenfassung

Die dynamisch-mechanische Analyse ist eine Methode, die typischerweise zur Bestimmung des Glasübergangs amorpher und teilkristalliner Polymere verwendet wird. Der DMA 303 Eplexor® erlaubt durch einen für Tischgeräte einzigartigen Temperaturbereich, Werkstoffe bis zu 800 °C zu analysieren. Dadurch können auch Materialien, die im mittleren bis hohen Temperaturbereich eingesetzt werden, wie Metalle, Keramiken oder Gläser, charakterisiert und für ihre Anwendung bewertet werden.

Literatur

  1. [1]
    Homepage des Bundesverband Glasindustrie e.V.: https://www.bvglas.de/ueber-glas/allround-talent-glas/glasarten/
  2. [2]
    Schaeffer, H. A., Langfeld, R., & Benz-Zauner, M. (2014). Werkstoff Glas. Springer Berlin Heidelberg.
  3. [3]
    Babcock, Clarence L., Stephen W. Barber, and Kasimir Fajans. "Coexisting structures in vitreous silica." Industrial & Engineering Chemistry 46.1 (1954): 161-166.