19.12.2022 von Dr. Chiara Baldini

60 Jahre NETZSCH-Gerätebau: Optimierung der Aushärtung von Verbundwerkstoffen

Im Rahmen unserer Kampagne zum 60. Firmenjubiläum mit Fokus auf Softwarelösungen im Dezember berichten wir heute über eine Erfolgsgeschichte, die durch die Zusammenarbeit mit Blacks Srl möglich wurde. Blacks Srl ist ein italienisches Unternehmen, das sich auf das Design, die Entwicklung von Prototypen und Herstellung von Bauteilen aus hochentwickelten Verbundwerkstoffen, wie Kohlenstoff-, Glas-, Aramidfasern und Hybridgewebe durch Handlaminieren und Aushärten im Autoklav-Verfahren spezialisiert hat.

Foto: Das Service-Portfolio von Blacks



Kinetics Neo ‒ Eine Erfolgsgeschichte:

Im Folgenden fassen wir die ganze Geschichte gemeinsam mit Dr. Chiara Leonardi, F&E-Manager bei Blacks, zusammen.

„Vor einigen Jahren beschlossen wir, unser Labor zu erweitern und sowohl eine DSC als auch eine TG von NETZSCH für die Qualitätskontrolle von ungehärtetem Harz (Prepregs) und ausgehärteten Produkten anzuschaffen. Unser Tagesgeschäft sind Routinemessungen zur Prüfung der eingehenden Rohmaterialien, der Alterung von Pregregs, der Glasübergänge sowie Fasergehalt und AushärtegradMit Aushärtegrad wird der erreichte Umsatzgrad bei einer Vernetzungsreaktion (Aushärtung) beschrieben.Aushärtegrad der Endprodukte, um nur einige Beispiele zu nennen“, so Frau Dr. Leonardi.

Im Jahr 2018 stand Blacks vor einer neuen Herausforderung: Das Unternehmen sollte eine Fahrradfelge aus Karbon herstellen, dessen Aushärtegrad 95 %  beträgt, um die vom Kunden geforderten mechanischen als auch die thermischen Eigenschaften zu erfüllen. Dieser Wert wurde nach einer ersten Charakterisierung des ausgewählten Prepregs vom Thermoanalyse-Labor von Blacks festgelegt. Bereits mit Beginn der Produktionsphase stellte sich heraus, dass ein geeigneter thermischer Zyklus gefunden werden musste, um zwei Hauptziele umzusetzen: das Erreichen des vorgegebenen Aushärtegrads und eine Verkürzung der Prozesszeiten.

„Unser Ansatz bestand darin, den im technischen Datenblatt des Prepregs vorgegebenen Aushärtezyklus anzuwenden. Dies war auch der Fall bei der Konsolidierung des Autoklaven des ersten Prototyps der Felge „SN2”. Bei der ersten Produktion zeigte sich jedoch, dass es einer Nachhärtung bedarf, um den gewünschten Vernetzungsgrad zu erreichen“, erinnert sich Dr. Leonardi.

Um den erreichten Aushärtegrad zu qualifizieren, wurden DSC-Messungen mit der DSC 214 Polyma an dem ungehärteten Harz (Prepreg) zur Auswertung der gesamten Aushärteenthalpie dieses Materials (Htot) und – unter den gleichen Bedingungen – an einer SN1-Probe zur Messung der Restaushärtung (Hres) durchgeführt.

In Abbildung 1 sind die DSC-Kurven sowie die ausgewerteten exothermen Aushärtesignale für beide Messungen dargestellt.

Der Aushärtegrad (α) wurde mit folgender Gleichung berechnet:

Abbildung 1: DSC-Kurven des Prepregs (rot) und von SN1 (violett); Heizrate: 20 K/min, Atmosphäre: Stickstoff

Für die SN1 ergab sich ein α–Wert von 94,5 %, der folglich unter dem angestrebten Wert lag.

Wie wird der angestrebte Aushärtegrad erreicht?

Ohne weitere hilfreiche Informationen besteht eine klassische Methode darin, die Maximaltemperatur zu erhöhen oder die Zeit des isothermen Segments zu verlängern.

Dieser Trial-and-Error-Ansatz ist jedoch zeitaufwendig und geht mit langen Stillständen des Autoklaven und einem hohen Rohmaterialverbrauch einher; zudem ist der Ansatz nicht immer verwertbar, da beispielsweise sich die Auswahl der maximalen Temperatur durch die Zersetzungstemperatur des Harzes selbst begrenzt. Und hier kommt das Know-how von NETZSCH ins Spiel.

„Wir haben uns entschieden, einen zweiten Prototyp der Felge herzustellen, indem wir einen ähnlichen Aushärtezyklus wie bei der ersten Felge, jedoch mit längerer Stauung angewandt haben. Obwohl dieser Zyklus den angestrebten Aushärtegrad ermöglichte, war die daraus resultierende Gesamtzykluszeit von acht Stunden zu lang für unsere Produktionsmöglichkeiten“, so Frau Dr. Leonardi weiter. „Deshalb baten wir NETZSCH bei der Findung eines neuen und schnelleren thermischen Profils um Unterstützung. Wir führten einige neue DSC-Messungen am Prepreg durch und übergaben die Daten an NETZSCH, die mit ihrer NETZSCH Kinetics-Software wahre Wunder vollbracht haben”.

Für die Durchführung kinetischer Studien sind in der Regel mindestens drei verschiedene Heizraten oder drei unterschiedliche isotherme Temperaturen für eine vollständige thermische Analyse erforderlich.

In diesem Fall entschied sich Blacks für dynamische Rampen mit Heizraten von 1, 2, 5, und 10 K/min. Die daraus resultierenden Thermogramme sind in Abbildung 2 dargestellt.

Abbildung 2. DSC-Kurven des Prepregs mit Heizraten von 1, 2, 5 und 10 K/min; Atmosphäre: Stickstoff

Durchführung kinetischer Studien und Vorhersage des Materialverhaltens

Zur Vorhersage des Aushärteverhaltens für verschiedene Prozessszenarien wurden die bei den vier unterschiedlichen Heizraten gemessenen DSC-Daten in die damals neu entwickelte NETZSCH Kinetics Neo-Software geladen.

Abbildung 3 zeigt die Konversionsanpassung als Resultat der Anwendung des modellfreien Ansatzes, der aus den in der Software verfügbaren Ansätzen ausgewählt wurde. Dabei handelt es sich um eine neue Mathematik, genannt “Numerische Optimierung”, die von NETZSCH speziell zur Unterstützung von Anwendern ohne Erfahrung in der Kinetik-Simulation und für die  Industrie im Allgemeinen entwickelt wurde, in der zeitaufwändige Auswertungen oft nicht mit den Produktionsanforderungen vereinbar sind.

Abbildung 3. Konversionsanpassung für die DSC-Daten mit Heizraten von 1, 2, 5 und K/min mit Anwendung des modelfreien Ansatzes „Numerische Optimierung“

 

Zur Vermeidung einer Überhitzung und einer damit einhergehenden Materialschädigung wurde zudem die maximale Reaktionsrate in der Software begrenzt, um sicherzustellen, dass ihr Wert niemals den für den Aushärtezyklus zur Herstellung des PSN2-Prototyps gemessenen Wert überschreitet.

Die Gesamtzeit für den neu konzipierten Aushärtezyklus belief sich auf 260 Minuten: Im Vergleich zu den 480 Minuten des vorherigen Zyklus’ klang dies sehr vielversprechend für eine zeitsparende Produktion. 

Doch wie sieht es mit dem angestrebten Aushärtegrad aus?

Kürzere Zeit, bessere Aushärteeffizienz

Blacks verließ sich auf den neu optimierten Zyklus und beschloss, ihn bei der Herstellung eines dritten Prototyps (SN3) anzuwenden.

„Als wir den Aushärtegrad mittels DSC testeten, wie wir es auch bei beiden Vorgängern der Fahrradfelgen getan hatten, stellten wir fest, dass wir mit dem optimierten Aushärtezyklus mittels kinetischer Analyse nicht nur die Produktionszeit nahezu halbieren, sondern auch den Aushärtegrad weiter verbessern konnten - ein echtes Happy End“, fasst Chiara Leonardi zusammen.

In der Tat konnte der Autoklaven-Herstellungszyklus der CFRP-Fahrradfelge von Blacks Srl im Vergleich zum anderen Zyklus, der das gewünschte Aushärteziel brachte, um 46 % reduziert werden, wobei der angestrebte Aushärtegrad (mit einem Endergebnis von 96,1 %) sogar übertroffen und gleichzeitig eine Überhitzung vermieden werden konnte. Abbildung 4 zeigt den Vergleich aller relevanten Daten für die Produktion jeder Fahrradfelge auf einen Blick.

Diese Fallstudie hat deutlich gezeigt, wie die Produktionszyklen mit einem kombinierten DSC-Kinetik-Ansatz optimiert werden kann. Im Vergleich zur Herstellung nach dem Trial-and-Error-Prinzip sind Materialcharakterisierung und -simulation sehr viel effizienter und erfordern nur wenige Milligramm Harz, was für die Verbundwerkstoff-Industrie große Kosteneinsparungen sowohl bei den Rohstoffen als auch bei der Produktionszeit mit sich bringt.
 

Abbildung 4. Zusammenfassende Tabelle: Vergleich von thermischem Zyklus, Zykluszeit, Messenthalpie und Aushärtegrads für jeden Projektschritt

Danksagung

Die Zusammenarbeit von Blacks S.r.l. und NETZSCH besteht weiterhin und erstreckt sich auch auf andere Aktivitäten. Dr. Chiara Leonardi war häufig unsere Gastrednerin bei Konferenzen, Seminaren und Webinaren.

Die Fallstudie „Optimierung der Aushärtung” wurde weltweit vorgestellt und im Magazin „Compositi“ veröffentlicht (Dezemberausgabe, 2018: Seiten 20-28). Hier können Sie den vollständigen Artikel lesen, um einen tieferen Einblick in dieses Projekt zu erhalten.

Darüber hinaus wächst Blacks kontinuierlich weiter: In der fünften Ausgabe der Umfrage „Champions of Growth“ des deutschen ITQF-Qualitätsinstituts wurde Blacks als eines von 800 Unternehmen ausgezeichnet, die den wirtschaftlichen Aufschwung in diesem Jahr mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von über 11,3 % im Dreijahreszeitraum von 2018 bis 2021 vorangetrieben haben.

Diese Anerkennung bestätigte wiederum ihr ständiges Engagement für das Streben nach Exzellenz und Innovation. Es scheint wirklich so, dass Blacks etwas mit unserer Version von “Proven Excellence” gemeinsam hat! Wir freuen uns auf weitere gemeinsame Herausforderungen!

Wir gratulieren unserem Kunden ganz herzlich und möchten uns noch einmal bei Dr. Chiara Leonardi für ihre Unterstützung bedanken.

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Wenn Sie mehr erfahren möchten, wie Sie unsere Kinetics Neo-Software zur Modellierung Ihres Aushärteprozesses einsetzen können, besuchen Sie den entsprechenden Website Bereich.

Wenn Sie an der Aufzeichnung des von Frau Dr. Leonardi präsentierten Webinars interessiert sind, kontaktieren Sie bitte direkt unsere italienische Niederlassung per E-Mail: info.niv@NETZSCH.com