05.10.2022 von Aileen Sammler

60 Jahre NETZSCH-Gerätebau: Die Geschichte der Dynamisch-Mechanischen Analyse

Ideal-elastisches Verhalten, d.h. die vollständige und verzögerungsfreie Rückkehr in die Ausgangsgestalt nach Beendigung einer Krafteinwirkung, gibt es nur in der Theorie. In der Praxis zeigen alle Materialien aufgrund der inneren Reibung eine mehr oder minder ausgeprägte Abhängigkeit der Materialkennwerte von der Frequenz. Dieses Verhalten bezeichnet man als viskoelastisch. 

Die dynamisch-mechanische Analyse (DMA) ist eine unentbehrliche Methode zur Bestimmung der viskoelastischen Eigenschaften von meist polymeren Werkstoffen, wie z.B. verstärkte und unverstärkte Thermoplaste, Duromere oder Elastomere. Mit dieser Analysemethode werden mechanische Eigenschaften quantitativ in Abhängigkeit von Temperatur, Zeit und Frequenz einer aufgebrachten, oszillierenden Probenbelastung untersucht.

Im Monat Oktober berichten wir über die Geschichte der DMA und verraten Ihnen Details zu unserem breiten NETZSCH DMA-Produktportfolio und dessen vielseitigen Anwendungsbereich in Qualitätssicherung, Forschung und Entwicklung.

Wie wir bereits in den vergangenen Monaten unserer Kampagne rund um 60 Jahre NETZSCH-Gerätebau GmbH berichteten, war NETZSCH zu Beginn rein auf den Hochtemperaturbereich – d. h. Keramik, Glas, Metalle und Baustoffe – spezialisiert. Später wollte das Unternehmen außerdem im Polymersektor aktiv werden und beschäftigte sich intensiv mit dem niedrigeren Temperaturbereich. Für eine umfassende Analyse von Polymeren benötigte man neben den Methoden DSC und TG auch die Dynamisch-Mechanische Analyse (DMA), die es also galt, Anfang der 1990er Jahre zu entwickeln.

Foto links: Die erste DMA 242; rechts die neue Geräteserie 200 mit DSC 200, TG 209 und DMA 242, die von da an unter Windows Software (MS Windows 3.1, 16-bit) lief :-)

Am 07.05.1992 präsentierte die NETZSCH-Gerätebau GmbH die erste DMA 442 auf der Messe ANALYTICA in München. Sie wurde kurze Zeit später in DMA 242 umbenannt, da zwischenzeitlich die Geräteserie 200 bestehend aus DMA, DSC 200 und TG 209 geboren wurde. Mit der DMA 242 wurde zudem auch das erste NETZSCH-Gerät auf Windows-Software (vorher DOS-basiert) entwickelt. Die DMA 242 deckte den damals bereits weiten Temperaturbereich von -150°C bis 600 °C ab.  

Es ging darum, viskoelastische Eigenschaften von Polymeren und Verbundwerkstoffen, also den komplexen E-Modul (Speichermodul E‘, Verlustmodul E‘‘), den Verlustfaktor tan δ (tan delta) sowie thermische Phasenübergänge wie z.B. den Glasübergang zu bestimmen. Das neue DMA-Tischmodell sollte hauptsächlich bei den großen Automobilherstellern, deren Zulieferindustrie, dem Elektrosektor aber auch in der Lebensmitteltechnik und Pharmazie zum Einsatz kommen.

Das erste verkaufte Tischgerät im Jahre 1993 lieferte NETZSCH nach Südkorea. Interessanterweise war der Anwendungsbereich nicht im Polymersektor, sondern im Lebensmittelbereich zu finden: Der neue Kunde nutzte die DMA zur Analyse von Gummibärchen, um aus dem gemessenen Rückstellverhalten die Korrelation zum Kauverhalten herzustellen.

Revolutionäre Multifrequenzmessung  

Die erste DMA verfügte bereits über drei Probenhalter - für Biegung, Kompression und Penetration. Später wurden Probenhalter für Zug und lineare Scherung entwickelt. 1999 erweiterte NETZSCH zudem den Temperaturbereich bis -170 °C aufgrund des CC200 LN2-Kühlsystems, basierend auf Flüssigstickstoff.

Als absolut revolutionär galt damals die Multifrequenzmessung für die Erstellung der sogenannten Masterkurve für die Extrapolation zum Verhalten des Materials bei Frequenzen außerhalb des Messbereichs. Dieses Software-Feature war bereits in der Standardsoftware integriert. „Neben den in der Praxis am häufigsten verwendeten Angabengrößen wie Speicher- und Verlustmodul sowie Verlustfaktor tan δ lässt die Software selbstverständlich auch die Darstellung von Multitaskingbetrieb (gleichzeitiges Messen und Auswerten) sowie Multimodulbetrieb innerhalb der kompletten Serie 200 (gleichzeitiger Betrieb mehrerer Module) zu…“, heißt es im damaligen NETZSCH DMA 242 Prospekt.

Foto: Damals einmalig: Die NETZSCH Thermische Analyse Software unter MS Windows

Patentierte Technik und beste DMA auf dem Markt

Sie erinnern sich vielleicht – Stephan Knappe brachte uns bereits im April die Meilensteine der DSC-Geschichte näher. Hier seine Aussage zur damals revolutionären DMA 242: „Die DMA war das erste Gerät in der Unternehmensgeschichte, bei dem wir nicht nur thermisch analysierten, sondern zudem die für die Praxis wichtigen mechanischen Eigenschaften bei unterschiedlichen Kräften, Deformationswegen und Frequenzen. Das patentiertes Wegaufnehmersystem (strain gauge) war damals mit der Auflösung von bis zu 0,5 nm (Nanometer!) bahnbrechend!“.

Stephan Knappe ist seit über 30 Jahren für uns tätig und war in den 90er Jahren Produktmanager für die Geräteserie 200 mit DSC, TG und DMA. Da NETZSCH zum damaligen Zeitpunkt auf dem Polymergebiet noch keine große Bekanntheit hatte, packte er das DMA-Tischgerät in den Kofferraum und fuhr Deutschlands Kunden ab – mit Erfolg: 1995/96 hatten wir die beste DMA auf dem Markt und viele Neukunden gewonnen.

Es folgten zahlreiche DMA Workshops in Deutschland, später in Europa und China. Zwischen 1996 und 2004 fanden allseits beliebte DMA-Anwendertreffen in Selb statt, um die Einflussparameter wie Frequenz, Kraft, Verformungsamplitude, Temperaturbereich, Probenhaltertyp, Probengeometrie, Probenkonsistenz etc. zu diskutieren und live auszutesten.

Mit der DMA 242 C und der DMA 242 D kamen 2000 bzw. 2013 weitere Geräte auf den Markt. Version C verfügte über eine fünf-dimensionale Systemsteifigkeits-Kalibrierung und kam für den Stahlersatz durch karbonfaserverstärkte Kunststoffe im Automobilbau zur Anwendung.

Foto: DMA 242 C

Launch der DMA 242 E Artemis

2013 launchte NETZSCH die DMA 242 E Artemis. Sie verfügte über eine Vielzahl von Neuerungen:

  • Höherer Kraftbereich: ±12 N dynamisch und 12 N statisch
  • Mehr als 30 verschiedene Probenhalter
  • Feuchtegenerator: z.B. für die Untersuchung des Einflusses von Wasser als Weichmacher bei Polyamiden
  • Kompatible Proteus®®-Software mit anderen NETZSCH-Geräten wie DSC, TGA, DIL, TMA, DEA
  • Kurvenvergleich

Dank des modularen Designs, der Vielzahl an Probenhaltern und Kühlsystemen kann mit der DMA 242 E Artemis auch heute ein großer Bereich an Applikationen und Probenbeschaffenheiten abgedeckt werden. Unterschiedlichste Erweiterungsmöglichkeiten machen sie zu einem idealen Gerät für jedes Labor und damit zu einer sicheren und langfristigen Investition.

 

Foto: DMA 242 E Artemis

Erfahren Sie mehr: DMA 242 E Artemis - NETZSCH Analyzing & Testing

In der kommenden Woche erfahren Sie, wie NETZSCH in die Gummi- und Reifenindustrie einsteigt. Bleiben Sie dran!