19.01.2023 von Martin Rosenschon

Thermische Analyse kann auch dynamisch sein

Charakterisierung viskoelastischer Materialeigenschaften mithilfe der Dynamisch-Mechanischen Analyse

Für die Auslegung eines Produktes oder Bauteils ist die Kenntnis der temperaturabhängigen Eigenschaften der verwendeten Materialien von zentraler Wichtigkeit. So bestehen beispielweise Winterreifen aus gezielt an kalte Temperaturen angepassten Gummimischungen, welche optimale Haft- sowie Abriebeigenschaften und damit ein sicheres Fahren gewährleisten.               

Die dynamisch-mechanische Analyse (kurz: DMA) ist eine Methode, welche Informationen zum elastischen und viskosen Verhalten in Abhängigkeit der Temperatur und der Belastungsfrequenz liefert. Hierbei wird ein Probekörper mit einer definierten, oszillierenden Last beaufschlagt und die entstehende Deformation gemessen. Aus der eingebrachten SpannungSpannung ist definiert als Kraftniveau, das auf eine Probe mit definiertem Querschnitt aufgebracht wird (Spannung = Kraft/Fläche). Proben mit runden oder rechteckigen Querschnitten können komprimiert oder gestreckt werden. Elastische Materialien, wie Elastomere, können bis um das 5- oder 10-fache ihrer ursprünglichen Länge gedehnt werden.Spannung σ, der entstehenden DehnungDehnung beschreibt die Deformation eines Materials, das durch eine von außen einwirkende Kraft oder Spannung mechanisch belastet wird. Gummimischungen zeigen Kriech-Eigenschaften, wenn eine statische Last aufgebracht wird.Dehnung ε und ihrem Versatz δ lassen sich die Kenngrößen Speichermodul E‘, Verlustmodul E‘‘ sowie der Dämpfungsfaktor tan δ ermitteln (siehe Abbildung 1). Der Speichermodul E‘ beschreibt dabei die elastisch reversible (federähnliche) Eigenschaft und der Verlustmodul E‘ den viskosen Anteil bzw. die Energiedissipation. Die Kombination beider Kenngrößen spiegelt sich im tan δ wider, welcher die Dämpfungseigenschaften beschreibt. 

Abbildung 1: Schematisches Prinzip einer DMA-Messung

Durch Anwendung unterschiedlicher Probenhalter, Zubehör und Messmodi kann mithilfe der DMA nahezu jedes Material gemessen werden, angefangen bei flüssigen oder viskosen Medien über weiche Elastomere, ungefüllte und faserverstärkte Kunststoffe bis hin zu Metallen und Keramiken.

Je nach Material, Temperatur und Belastung ist die Ausprägung der viskoelastischen Eigenschaften stark unterschiedlich. Metalle und ihre Legierungen sind bei Raumtemperatur und geringen Dehnungen üblicherweise rein elastisch, wobei Polymere meist ein Mischverhalten aus Viskosität und Elastizität aufweisen. Sie besitzen ferner eine sogenannte GlasübergangstemperaturDer Glasübergang gilt als eine der wichtigsten Eigenschaften amorpher und teilkristalliner Materialien, wie z.B. anorganische Gläser, amorphe Metalle, Polymere, Pharmazeutika und Lebensmittel, usw., und bezeichnet den Temperaturbereich, in dem sich die mechanischen Eigenschaften des Material von einem harten und spröden Zustand in einen weicheren, verformbaren oder gummiartigen Zustand ändern.Glasübergangstemperatur. Bei niedrigen Temperaturen sind Kunststoffe vergleichsweise steif und spröde - wie der Name Glasübergang bereits sagt - glasähnlich. Im Glasübergang können sich die amorphen Polymerketten zueinander bewegen und der viskose Anteil nimmt zu. Danach befindet sich das Material im entropieelastischen Zustand und ist – je nach Material – verhaltensmäßig weich. Anhand der direkten Veränderung der mechanischen Eigenschaften lässt sich der Glasübergang über eine dynamisch-mechanische Analyse eindeutig identifizieren. Neben der DMA lässt sich dieser auch mithilfe der dynamischen Differenzkalorimetrie (engl.: Differential Scanning Calorimetry, kurz: DSC) auf Basis der entstehenden Veränderung in der Wärmekapazität ermitteln.        

Jedoch stellt die DMA diesbezüglich das bedeutend empfindlichere Verfahren dar und erlaubt die Auflösung von Effekten, die keine oder nur geringe Wärmeänderungen mit sich bringen. Abbildung 2 zeigt die Messung einer Polytetrafluorethylen (PTFE) Probe, auch bekannt unter dem Markennamen Teflon®, unter Verwendung der DSC (rot, 10 K/min) und der DMA (schwarz, 1 Hz, 2 K/min). Das bekannteste Beispiel für die Verwendung von PTFE ist die Antihaftbeschichtung für Pfannen, was auf dessen hoher thermischen Beständigkeit sowie Chemikalienresistenz zurückzuführen ist. Es findet aber auch vielfach Verwendung in der Medizintechnik oder in tribologischen Systemen, wie Gleitlagern.

In der DMA-Messung sind drei Effekte erkennbar. Bei -123°C (Onset E‘) zeigt das Material einen Glasübergang im Speichermodul E‘ (durchgezogene Linie), welcher auf die amorphen Bereiche zurückzuführen ist. Zwischen 20°C und 40°C besitzt PTFE zwei nahe beieinanderliegende fest-fest Umwandlungen. In der DMA Messung ist - auf Basis der Versuchsparameter - ein Effekt bei 29°C (Onset E‘) erkennbar.  In der DSC-Kurve (rot) können beide Umwandlungen mit Peaktemperaturen bei circa 21°C und 31°C identifiziert werden. Im Weiteren tritt ein Glasübergang bei 113°C (Onset E‘) in der DMA-Kurve auf. Während sich die fest-fest Umwandlungen in der DSC klar darstellen lassen, sind die Glasübergangstemperaturen -in diesem Fall- nicht erfassbar. Aufgrund der geringen Wärmestrommengen sind sie nur mittels DMA messbar. Da Glasübergänge vom amorphen Anteil des Materials herrühren, ist deren Messung im Besonderen für hochkristalline Werkstoffe mittels der dynamischen Differenzkalorimetrie oftmals schwierig, und der Einsatz der DMA ist erforderlich.

 

Abbildung 2: Messung einer PTFE Probe mithilfe der DMA (schwarz) und DSC (rot)

 

Ob hochfeste oder weiche Materialen, hohe oder kleine Lastbereiche NETZSCH bietet die für Ihren Anwendungsfall passende DMA-Anlage. Angefangen bei Tischgeräten mit dynamischen Kräften im zweistelligen Newton-Bereich bis zu Hochkraftanlagen mit Lasten von bis zu 1,5 kN. Je nach Ausführung können Messungen bei -160°C bis zu 1500°C in Frequenzbereichen von 0,0001 bis zu 200 Hz realisiert werden. 

Die Anwendung der dynamisch-mechanischen Analyse kann eine Vielzahl von Fragestellungen beantworten. So erlauben die Ergebnisse bestmögliche Materialen für bestimmte Einsatztemperaturen und Lastfälle auszuwählen, wie im Beispiel des Winterreifens. Unter Einbeziehung der Frequenzabhängigkeit können beispielsweise auch Materialen bezüglich ihrer Schalldämmung im menschlichen Hörbereich bewertet werden. Durch vergleichende Messungen können bei Polymeren der Einfluss von Füllstoffen, wie z.B. Glasfasern, Additive sowie Weichmacher, bewertet und Rezepturen ausgelegt werden. Auf Basis der viskoelastischen Materialkennwerte können aber auch Prozessparameter analysiert werden, etwa ob ein Harz im Rahmen der Verarbeitung vollständig aushärtet.     
Darüber hinaus lassen sich mit geeignetem Zubehör der Einfluss der Luftfeuchte auf das Material beobachten oder die Reaktion des Materials durch den Kontakt mit flüssigen Medien (z.B. Öl oder Lösungsmittel) untersuchen. Dafür stehen für die DMA-Systeme Feuchtegeneratoren oder Immersionsbäder zur Verfügung.       

Dies stellt lediglich einen Auszug der Verwendungsmöglichkeiten von DMA-Messungen dar. DMA-Geräte besitzen üblicherweise noch weitere Messmodi, wie Relaxations-, Kriechmessungen und vieles mehr, was das Einsatzfeld zudem erweitert.

In den kommenden Wochen möchten wir Ihnen verschiedenste Applikationen, aufgenommen mit NETZSCH DMA-Geräten, in unterschiedlichen Anwendungsgebieten vorstellen und Sie für Ihre zukünftigen Aufgaben und Problemstellungen inspirieren. Bleiben Sie dran!

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