Blähgrafit – Eine nachhaltige Lösung für Flammschutzmittel in Kunststoffen

Einleitung

Flammschutzmittel (engl. Flame Retardant, FR) werden seit Jahrzehnten eingesetzt, um die Brandgefahr in Kunststoffbauteilen, z.B. für die Elektronik- oder Automobilindustrie, zu verringern oder sogar auszuschließen. In den ersten Jahren waren halogenierte Flammschutzmittel Standard, dann traten zunehmend nicht-halogenierte Optionen im Markt auf. Dies liegt zum Teil an den zusätzlichen Risiken durch das Einatmen giftiger Dämpfe von brennenden, halogenierten Flammschutzmitteln, aber auch an geänderten Vorschriften und der Vorliebe von Verbrauchern für Nachhaltigkeit. Das momentan wichtigste Abkommen der EU ist der Green Deal, der große Chancen birgt und zu potentiellen Verpflichtungen zur Umstellung auf halogenfreie Flammschutzmittel führen wird. Dies wird noch wahrscheinlicher, wenn die erwartete Überarbeitung der RoHS-Richtline (Restriction of (the use of certain) Hazardous Substances in electrical and electronic Equipment – Beschränkung der Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten) umgesetzt ist. 

Es gibt eine Vielzahl von unterschiedlichen Lösungen und zahlreiche auf dem Markt erhältliche FR-Polymere. Eines davon ist Blähgrafit, den die meisten nur mit erhöhter thermischer und elektrischer Leitfähigkeit in Verbindung bringen. Seine einzigartigen Eigenschaften können jedoch auch zur Erhöhung der Brandsicherheit genutzt werden. Um dies zu erreichen, werden große Flocken aus Naturgrafit mit Säuren und Oxidationsmitteln behandelt. Aufgrund der relativ schwachen Bindungen (Van-der-Waals-Kräfte) zwischen den Schichten im Vergleich zu den Kräften innerhalb einer Schicht ermöglicht der entstehende Abstand zwischen den Schichten die Bildung einer Zwischenschicht aus dehnbaren Salzen. Diesen Vorgang nennt man Interkalation. Die Salze dehnen sich aus und treiben die einzelnen Grafitschichten bei Wärmeeinwirkung auseinander, was zu einer immensen Volumenzunahme führt. Dadurch vereint Blähgrafit gleich zwei Arten des Brandschutzes: Zum einen wird die Entflammbarkeit des Bauteils reduziert und zum anderen bildet Blähgrafit im Brandfall eine schützende intumeszierende* Schutzschicht, weshalb er zur Klasse der grenzschichtbildenden Flammschutzmittel gehört. Je nach Polymertyp tritt die VolumenausdehnungDas Volumen von Gasen/Festkörpern/Flüssigkeiten ändert sich mit der Temperatur, dem Druck oder den Kräften, die auf die Gase/Festkörper/Flüssigkeiten einwirken. Im Fall von thermischer Analyse werden temperaturabhängige Änderungen untersucht.Volumenausdehnung bei unterschiedlichen Temperaturen auf, was die einzusetzende Gruppe an Polymeren einschränkt. Eines der typischen Polymere, zu denen FRs compoundiert werden, sind Polyethylene (PE), die bei Draht- und Kabelummantelungen eingesetzt werden. Bei der Extrusion muss die Schmelzviskosität genau kontrolliert werden, um eine homogene Dicke zu erzielen.

*Intumeszierende Beschichtungen quellen unter Hitzeeinwirkung auf und bilden einen isolierender Schaum, der das Trägermaterial schützt. Durch EndothermEin Phasenübergang oder eine Reaktion ist endotherm, wenn für die Umwandlung Wärme benötigt wird.endotherm verlaufende Reaktionen kann zudem eine kühlende Wirkung erreicht werden.

1) Cone Calorimeter TCC 918

Dabei ist die Menge des Flammschutzmittels entscheidend, da sie nicht nur die erreichbaren Anforderungen an die Entflammbarkeit, sondern auch die Verarbeitbarkeit beeinflusst. 

Um die Auswirkung unterschiedlicher Mengen an Blähgrafit als Flamme auf das Brandverhalten von PE zu verdeutlichen, wurden Proben der verschiedenen Compounds zu 100 x 100 x 4 mm³ großen Platten spritzgegossen und im Cone Calorimeter TCC 918 (Abbildung 1) untersucht. Das Gerät erlaubt die Ermittlung der Wärmefreisetzung, des Massenverlusts und der Rauchgasdichte und -zusammensetzung.

Wie wird die Messung durchgeführt

Vor Messbeginn wurde das Gasanalysesystem (Siemens Oxymat/Ultramat) mit Kalibriergasen kalibriert und der C-Faktor wurde mittels eines Methanbrenners mit definierter Wärmeabgabe überprüft. Der verwendete Gasanalysator war mit einer O2- und CO2-Option ausgestattet. Nach Aufheizung des kegelförmigen Heizers wurde der Shutter geschlossen und der horizontale Probenträger mit der Probe auf der Grundplatte montiert. Dann wurde der Shutter automatisch vom System zum Start der Messung entfernt. Die freigesetzten Gase wurden durch das automatische Zündsystem gezündet. Die Messbedingungen sind in Tabelle 1 zusammengefasst.

Wie hängen Wärmefreisetung, Rauchdichte und Massenverlust zusammen?

Der erste zu beobachtende Effekt ist die Wärmefreisetzung, siehe Abbildung 2. Während die Wärmefreisetzung bei allen Proben zwischen 2 und 3 min nach Testbeginn beginnt, ist zu erkennen, dass beim PE ohne Flammschutzmittel (blaue Linie) die Wärmefreisetzung zunimmt und bei etwa 5 Minuten ein Maximum erreicht. Im Vergleich dazu zeigen beide Proben mit Blähgrafit eine deutlich reduzierte Wärmefreisetzung, wobei der Effekt bei einem höheren Anteil an Blähgrafit noch stärker ist (grüne Linie). Dies ist ein Hinweis auf die Barriereeigenschaften des Grafits, sobald sich die intumeszierende Schicht gebildet hat. 


Tabelle 1: Messbedingungen

Probenhalter

Horizontal

Wärmefluss

50 kW/m²

Nominale Durchflussrate

24,0 l/s

2) Im TCC 918 gemessene freigesetzte Wärme einer reinen PE-Probe (blau) sowie von PE gefüllt mit 10 Gew.-% (rot) und mit 20 Gew.-% Blähgrafit (grün) (Quelle: BPI)

 

Eine weitere wichtige Analyse ist die Rauchentwicklung während eines Brandes. Diese wird gemessen, indem eine Änderung der Transmission festgestellt wird, wobei eine abnehmende Transmission mit einer zunehmenden Rauchdichte korreliert. Abbildung 3 zeigt einen Vergleich der Messungen an den drei Proben. In allen Fällen beginnt die Transmission nach einer Testzeit von ca. zwei Minuten abzunehmen. Es ist ersichtlich, dass die Transmission im Fall von reinem PE um etwa 30 % abnimmt. Bei beiden Proben mit FR ist der Abfall deutlich geringer; der Transmissionsverlust beträgt nur 20 % bei 10 Gew.-% Blähgrafit und 10 % bei der höheren Menge von 20 Gew.-% Blähgrafit. Die Verbrennung der Probe und die damit verbundene Wärmefreisetzung geht mit einer Gewichtsreduzierung einher. Die Messergebnisse, siehe Abbildung 4, stimmen ebenfalls gut mit der gemessenen Wärmefreisetzung und Transmission überein. Der größte Massenverlust wird bei der reinen PE-Probe beobachtet, gefolgt von der Probe mit 10 Gew.-% Blähgrafit. Der geringste Massenverlust wird für die Probe mit dem höchsten FRAnteil gemessen, 20 Gew.-% Blähgrafit.

3) Transmissionseigenschaft des Rauches aus einer reinen PE-Probe (blau) sowie PE gefüllt mit 10 Gew.-% (rot) bzw. 20 Gew.-% (grün) Blähgrafit (Quelle: BPI)
4) Massenverlust einer reinen PE-Probe (blau) sowie von PE gefüllt mit 10 Gew.-% (rot) bzw. 20 Gew.-% (grün) mit Blähgrafit gefüllten Probe
5) Schema des Füllstoffeinflusses wie Blähgrafit als Flammschutzmittel auf die Viskosität des Polymers PE über einen weiten Bereich an Scherraten; der Temperaturanstieg hat den entgegengesetzten Effekt auf die Zugabe von Füllstoffen

 

Während der Beginn des Massenverlusts nach ca. zwei Minuten detektiert werden kann, ist die Gewichtsänderung vor allem dann zu beobachten, wenn der signifikante Abfall der Transmission und der Anstieg des Wärmeübergangs zu beobachten sind.

Welche weiteren Effekte können Flammschutzmittel aufweisen?

Während die höheren Anteile an FR eine erniedrigende Wirkung auf die Wärmefreisetzung, den Massenverlust und die Erhöhung der Transmissionseigenschaft haben können, muss auch die Viskositätsänderung untersucht werden, um ihren Einfluss auf das Verarbeitungsverhalten zu bewerten. Wie die meisten Additive (mit Ausnahme von Fließbildungsmittel) erhöhen FRs die Viskosität der Schmelze über einen weiten Bereich der Scherraten (Abbildung 5), was nur bis zu einem gewissen Grad durch Erhöhung der Extrusionstemperatur ausgeglichen werden kann. Die Wirkung einer beliebigen Menge an FR kann mit einem Kapillarrheometer in Abhängigkeit der Scherrate untersucht werden.

Zusammenfassung

Der visuelle Vergleich der verschiedenen Proben nach der Untersuchung zeigt, dass das unbehandelte PE deutlich mehr Risse und Löcher aufweist, die einen Weg für die Diffusion von Sauerstoff ebnen. Weiterhin ist zu erkennen, dass der Wärme- und Massenübergang mit zunehmenden Gehalt an Blähgrafit eingeschränkt wird. Daraus kann gefolgert werden, dass die Brandhemmung von Blähgrafit eher auf eine physikalische als auf eine chemische Wirkung zurückzuführen ist.

Die Studie zeigt, dass Blähgrafit ein geeignetes Flammschutzmittel für PE ist und dass bei den hier untersuchten FR-Gehalten die Wirkung mit höheren Mengen an FR gesteigert werden konnte.