09.05.2022 von Aileen Sammler

Wie die DSC bei der Charakterisierung pharmazeutischer Wirkstoffe unterstützt

Zur Behandlung von Krankheiten wird in der Pharmazeutischen Industrie kontinuierlich nach neuen Wirkstoffen (APIs) geforscht. Dr. Carsten Schauerte von der SOLID-CHEM GmbH zeigt Ihnen heute, wie die DSC bei der Charakterisierung von pharmazeutischen Wirkstoffen unterstützen kann.

Dr. Carsten Schauerte ist Mitbegründer und Geschäftsführer der SOLID-CHEM GmbH im Biomedizinischen Zentrum in Bochum. Er absolvierte ein Studium der Chemie an der Universität Essen, promovierte 2004 und arbeitete als Postdoc an der Goethe-Universität Frankfurt a.M.

Die 2010 gegründete SOLID-CHEM GmbH analysiert und entwickelt u.a. Methoden zu Kristallisationen, Polymorph-, Salz- und Co-Kristall- oder auch Amorph-‚Screenings“ sowie zur Partikelidentifizierung und -charakterisierung. SOLID-CHEM bietet zudem ein breit gefächertes Spektrum von Untersuchungsmethoden zur quervernetzten Festkörperanalytik.

Dr. Carsten Schauerte, Geschäftsführer der SOLID-CHEM GmbH, Bochum

Dr. Carsten Schauerte gibt uns heute einen Einblick, wie die DSC bei der Charakterisierung pharmazeutischer Wirkstoffe unterstützt:

Zur Behandlung von Krankheiten wird in der Pharmazeutischen Industrie kontinuierlich nach neuen Wirkstoffen (APIs) geforscht, die spezifische, zweckbestimmte, physikalisch-chemische Eigenschaften aufweisen, die beispielsweise die Fähigkeit besitzen an Rezeptor-Proteinen anzudocken und damit gewünschte Zellreaktionen auszulösen. Ist ein pharmazeutischer Wirkstoff gefunden, besteht die Herausforderung, diesen für den Körper resorbierbar zu machen. Der Schlüsselbegriff hierzu ist die Löslichkeit. Außerdem muss der Wirkstoff noch in eine passende Darreichungsform gebracht werden, z.B. Tablette, Kapsel, Lösung. Die Formulierung des Medikaments enthält außerdem meist Hilfsstoffe, um z.B. Löslichkeit oder Stabilität positiv zu beeinflussen. Die Materialcharakterisierung spielt bei diesem Schritt eine wichtige Rolle. Aus der Vielfalt von Festkörperstrukturen (Polymorphe, Hydrate, Solvate, amorphe Materialien) müssen solche identifiziert werden, die die Bioverfügbarkeit und Sicherheit des Produktes garantieren.

Zur Charakterisierung der jeweiligen Festkörperform kommen häufig verschiedene, sich ergänzende analytische Verfahren zum Einsatz. Die thermischen Eigenschaften von Wirkstoffen, Hilfsstoffen und Formulierungen können mit der DSC Methode ermittelt werden. Dazu gehört die Ermittlung des Schmelzpunktes und genereller Phasenumwandlungen z.B. über endotherme Signale in der DSC.

Polymorphie kristalliner Stoffe – wichtig für die Medikamentenwirksamkeit

Viele kristalline Stoffe haben die Fähigkeit, Polymorphe zu bilden. Als Polymorph bezeichnet man Verbindungen gleicher chemischer Zusammensetzung, die sich durch unterschiedliche Anordnung der Moleküle innerhalb der Kristalle im Festkörper auszeichnen. Unterschiedliche polymorphe Formen können durch die Einstellung unterschiedlicher Parameter während des Kristallisationsprozesses aus der Schmelze, oder aus der Lösung entstehen. Sie können sich aber auch durch fest-fest Phasenumwandlungen bilden. Diese können durch Feuchte, verschiedene Drücke aber besonders durch bestimmte Temperaturen bzw. Temperaturgradienten begünstigt werden. Die Unterschiede auf molekularer Ebene zwischen den Polymorphen können auch auf makroskopischer Ebene Unterschiede bewirken. Polymorphe können also in ihren verschiedenen kristallinen Formen unterschiedliche physikalische Eigenschaften aufweisen. Dazu zählt u.a. eine voneinander abweichende Löslichkeit und damit unter Umständen eine veränderte Bioverfügbarkeit.

Bild 1: Schematisches Beispiel für zwei unterschiedliche kristalline Anordnungen eines Moleküls

Ein stabiles Polymorph mit gewünschten Wirkeigenschaften zu finden ist jedoch sehr aufwendig. Selbst wenn eine erfolgversprechende Substanz gefunden wurde, übersteht nur eine von mehreren tausend Wirkstoffen die Testphase und schafft es bis zum vermarktungsfähigen Medikament. Solche vielversprechenden Wirkstoffe werden daher auch von Pharmaunternehmen patentiert, um die exklusive Vermarktbarkeit zu garantieren.

Rahmen der Arzneimittelherstellung

Eingehende Laborstudien liefern Informationen über die optimalen Verarbeitungsparameter der jeweiligen polymorphen Form, wie z.B. deren Löslichkeit, das bevorzugte Kristallisationslösungsmittel, optimierte Konzentrationen in gemischten Lösungsmittelsystemen, Kristallisationsbedingungen und andere. Wenn jedoch ein Medikament in der Anwendung nicht seine gewünschte Wirksamkeit zeigt, muss geklärt werden, an welcher Stelle der Verarbeitung oder Aufbereitung Probleme auftreten. Ist der Wirkstoff vielleicht durch den Produktionsprozess oder eine unerwünschte Wechselwirkung mit Hilfsstoffen in eine andere polymorphe Form übergegangen oder ist eine Verunreinigung im Produkt die Ursache? In einem solchen Fall nehmen Pharmaunternehmen gerne Kontakt mit spezialisierten Auftragslaboren auf, wie z.B. die SOLID-CHEM GmbH in Bochum. Dort stehen im hauseigenen Labor umfangreiche Analysemethoden wie Röntgen-und Laserbeugung, Schwingungs- und Kernresonanzspektroskopie sowie Mikroskopie, aber auch die Thermische Analyse mit Thermogravimetrie und der Dynamischen Differenzkalorimetrie über eine DSC 204 F1 Phoenix® von NETZSCH zur Verfügung.

Wie kann Thermische Analyse helfen?

Die Thermische Analyse umfasst eine Reihe von Methoden. Eine davon ist die Dynamische Differenzkalorimetrie (DSC). DSC wird eingesetzt, um Material auf vorhandene Phasenübergänge oder chemische Reaktionen zu prüfen. Dazu wird die Probe einem definierten Temperaturprogramm unterworfen, d.h. die Temperatur an der Probe wird mit einer vorgegebenen Rate erhöht oder gesenkt bzw. für eine bestimmte Zeit konstant gelassen. Die abgegebene (ExothermEin Phasenübergang oder eine Reaktion ist exotherm, wenn von der Probe Wärme freigesetzt wirdexotherm) oder aufgenommene (EndothermEin Phasenübergang oder eine Reaktion ist endotherm, wenn für die Umwandlung Wärme benötigt wird.endotherm) Wärme wird gemessen. Dies lässt Rückschlüsse auf chemische oder physikalische Prozesse zu, wie z.B. Schmelzen, Kristallisieren oder polymorphe Umwandlungen.

Das Auftreten und Erkennen polymorpher Formen am Beispiel von Paracetamol

Beim Wirkstoff Paracetamol, einem gängigen Schmerzmittel, sind drei Polymorphe bekannt:

  1. Stabile Form I (monoklin)
  2. Metastabile Form II (orthorhombisch) und
  3. Instabile Form III

Die unterschiedlichen polymorphen Formen lassen sich gut über DSC-Analyse differenzieren.

Im folgenden Beispiel wurden 2,4 mg Paracetamol in Aluminiumtiegeln und einer Stickstoffatmosphäre zweimal von -20 °C auf 200 °C erhitzt. Das dazwischenliegende Kühlsegment wurde ebenfalls mit 10 K/min durchgeführt. In der ersten Aufheizung ist ein endothermer Effekt mit einer extrapolierten Onset-Temperatur von 169 °C sichtbar. Dies korreliert gut mit dem Schmelzpunkt der Form I. Während des anschließenden kontrollierten Abkühlungsschritts (hier nicht dargestellt) findet keine KristallisationAls Kristallisation bezeichnet man den physikalischen Vorgang der Verhärtung bei der Bildung und beim Wachstum von Kristallen. Bei diesem Prozess wird Kristallisationswärme frei.Kristallisation statt. Dies bedeutet, dass das Paracetamol zu Beginn des 2. Aufheizschrittes noch amorph ist. Beim 2. Aufheizen tritt zunächst ein Glasübergang (kleine Stufe in endotherme Richtung) als Charakteristikum für den amorphen Zustand auf, gefolgt von einem exothermen Effekt (mit einer Peaktemperatur von 82 °C), der mit einem Kalt- oder Nachkristallisationsprozess zusammenhängt. Parallel durchgeführte XRD-Untersuchungen haben gezeigt, dass sich hier Form III bildet. Diese Form III wandelt sich beim weiteren Aufheizen in Form II um (ebenfalls durch XRD-Untersuchungen bestätigt), die schließlich bei 157 °C (extrapolierte Onset-Temperatur) aufschmilzt. Der exotherme Effekt bei 133 °C (Peaktemperatur) ist der Strukturumwandlung in die andere polymorphe Form zuzuordnen. Die extrapolierte Anfangstemperatur von 157 °C ist charakteristisch für die Form II.

Abbildung: DSC-Messung an Paracetamol, dargestellt sind die DSC-Kurven der 1. (blau) und der 2. Aufheizung (rot); die Skalierung der y-Achse gilt für beide Kurven; Messbedingungen siehe Text

Wir haben Herrn Dr. Schauerte ergänzend zu seinem Beitrag noch einige Fragen gestellt:

Wir haben Herrn Dr. Schauerte ergänzend zu seinem Beitrag noch einige Fragen gestellt:

NETZSCH: Herr Dr. Schauerte, Sie kooperieren eng mit Pharmafirmen, die Sie bei Problemen während der Entwicklung und Verarbeitung von pharmazeutischen Wirkstoffen unterstützen. Was sind die häufigsten Fragen mit denen Pharmafirmen auf Sie zukommen und wie können (Thermische) Analysemethoden hier helfen, Probleme zu lösen?

Dr. Carsten Schauerte: In Bezug auf polymorphe Systeme stellen sich am häufigsten die folgenden Fragen:

  • Welche Festkörperformen gibt es?
  • Welche Eigenschaften haben die jeweiligen Formen?

Gerade bei der ersten Fragestellung ist die Beantwortung nicht ganz einfach und es müssen umfangreiche Experimente mit anschließender quervernetzter Analytik geplant und ausgeführt werden, um die Festkörperlandschaft eines Wirkstoffkandidaten möglichst genau zu beschreiben. Das kommt immer darauf an, wie viel Zeit und Kraft (und finanzielle Mittel) investiert werden soll. Analytische Methoden dienen hier besonders der Identifizierung und der Charakterisierung neuer polymorpher Formen. Thermische Analysen zeigen uns hierbei das thermische Verhalten der verschiedenen Formen auf (Glasübergänge, Schmelze und Kristallisation aber auch Ausgasen von Flüssigkeiten), geben aber auch Aufschluss über potentielle Umwandlungseigenschaften zwischen zwei oder mehr Formen. Darüber hinaus kann z.B. die DSC auch als präparatives Instrument zur Generierung neuer Formen herangezogen werden.

NETZSCH: Die hohen Kosten, die ein Pharmaunternehmen investieren muss bis ein vermarktbarer Wirkstoff gefunden wird führen dazu, dass patentrechtliche Themen auch zu Ihrem Aufgabengebiet gehören. Könnten Sie kurz erläutern worum es hier hauptsächlich geht und warum auch hier (Thermische) Analysemethoden zur Problemlösung beitragen?

Dr. Carsten Schauerte: Die Patentierung einer polymorphen Festkörperform wird meist im Anschluss an ein auslaufendes Stoffpatent angemeldet und dient häufig dazu den patentrechtlichen Schutz für den Wirkstoff zu verlängern. Andere Unternehmen können dieses neue Patent anfechten oder selbst eine alternative, ungeschützte Form vermarkten, eventuell sogar selbst schützen lassen. Thermische Analysen tragen auch hier zur Charakterisierung und eindeutigen Zuordnung von Formen bei. Zudem liefern sie z.B. mit der Ermittlung des Schmelzpunktes unter Umständen den entscheidenden Vorteil einer neuen Form gegenüber anderen Formen, die zur Patentierung führen kann.

NETZSCH: Eine letzte Frage an Sie, Herr Dr. Schauerte: Die dynamische Differenzkalorimetrie ist eine der am weitesten verbreiteten Thermischen Analysemethoden. Worin sehen Sie die Stärke der DSC in Ihren Anwendungsfällen?

Dr. Carsten Schauerte:  So wichtig und wertvoll diese Methoden auch sind, die Röntgenbeugung, Mikroskopie sowie Schwingungsspektroskopie liefern meist nur eine Momentaufnahme, während thermische Analysemethoden ein dynamisches Bild über einen definierten Temperaturbereich darstellen. Das ist für uns von größter Wichtigkeit, da ein Wirkstoff später nicht nur bei einer ganz bestimmten Temperatur gehandhabt wird. Da gibt es Herstellungs-, und Formulierungsverfahren aber auch Lagerungen oder Transportwege, bei denen der entsprechende Wirkstoff höheren oder niedrigeren Temperaturen ausgesetzt ist, denen die auserwählte Festkörperform standhalten muss. Um dies zu garantieren, müssen wir das thermische Verhalten des Wirkstoffs bzw. des Polymorphes möglichst genau kennen und beschreiben, um unerwünschten Phasenumwandlungen vorbeugen zu können.

NETZSCH: Herr Dr. Schauerte, wir danken Ihnen recht herzlich für diesen spannenden Einblick in Ihre Arbeit!