Bestimmung der Scherviskosität einer Polymerschmelze mittels Oszillationsmessung: Die Cox-Merz-Regel

Einleitung

Mit einem Rotationsrheometer lassen sich sowohl Rotationsversuche (die obere Platte rotiert mit einer bestimmten Scherrate oder Schubspannung) als auch Oszillationsversuche (die obere Platte oszilliert mit einer bestimmten Scherdeformation oder Schubspannung und einer bestimmten Frequenz) realisieren. Während die Scherviskosität oft das wichtigste Ergebnis eines Rotationsversuchs ist, liefert der Oszillationsversuch Informationen über die viskoelastischen Eigenschaften der Probe, insbesondere über ihre komplexe Viskosität (ŋ*), die sich aus ihrer komplexen Steifigkeit (G*) ergibt [1]. 

Im Folgenden wurde Polypropylen in beiden Modi gemessen und die Scherviskosität (ŋ) mit seiner komplexen Viskosität (ŋ*) verglichen.


Tabelle 1: Parameter der Rotationsmessung

Gerät

Kinexus ultra+ mit elektrisch beheizbarer Kammer

GeometrieCP2/20 (Kegel-Platte, Winkel: 2°, Durchmesser: 20 mm)
Temperatur

190 °C (ca. 30 °C über der Schmelztemperaturen und SchmelzenthalpienDie Schmelzenthalpie einer Substanz, auch bekannt als latente Wärme, stellt ein Maß der Energiezufuhr dar, typischerweise Wärme, welche notwendig ist, um eine Substanz vom festen in den flüssigen Zustand zu überführen. Der Schmelzpunkt einer Substanz ist die Temperatur, bei der die Substanz von einem festen (kristallinen) in den flüssigen Zustand (isotrope Schmelze) übergeht.Schmelztemperatur)

Messspalt

66 μm

1) Scherviskosität (η, blau) und Schubspannung (σ, grün) während der Rotationsmessung an einer Polypropylenschmelze

Rotationsmessung an Polypropylen

Eine Rotationsmessung an Polypropylen-Granulat wurde mit dem NETZSCH-Rheometer Kinexus ultra+ durchgeführt. In Tabelle 1 sind die Messbedingungen gelistet. 

Abbildung 1 zeigt die Kurve der Schubspannung (σ, grün) und der Scherviskosität (ŋ, blau) für die programmierten Scherraten. Im niedrigen Scherratenbereich ist der Anstieg der Schubspannung mit zunehmender Scherrate linear, die Scherviskosität ist nahezu konstant: Das ist das Newtonsche Plateau des Materials. 

Ab ca. 0,1 s-1 beginnt die Scherviskosität mit zunehmenden Scherraten abzufallen. Die Steigung ändert sich. Dies ist ein Hinweis auf ein ausgeprägteres scherverdünnendes Vehalten.

Ein Blick auf die Stationäritätskurve (ein Anzeichen für zeitunabhängiges Fließen innerhalb der Probe, Abbildung 2, schwarz) zeigt jedoch, das oberhalb dieser Scherrate das Fließen nicht mehr zeitunabhängig ist. Durch Überprüfung der Stationarität kann sichergestellt werden, dass die Messung zu korrekten Scherviskositätswerten führt: Die Stationarität für laminares, zeitunabhängiges Fließen beträgt den Wert von 1. Kommt es zu einer Abweichung von diesem Wert, wie in der Messung oberhalb von ca. 1 s-1 dargestellt, so sind die Schwerviskositätswerte in diesem Bereich mit einer höheren Unsicherheit verbunden.

Woher kommt dieses Verhalten? Ein Blick auf Abbildung 3 liefert die Antwort. Zusätzlich zur Scherviskosität (blau) wird dort auch die Schubspannung (grün) mit der ersten Normalspannungsdifferenz (N1, rot) verglichen. Der steile Anstieg von N1 ist twahrscheinlich auf den Weissenberg- Effekt zurückzuführen. Die elastischen Eigenschaften der Probe dominieren die viskosen Eigenschaften, sodass die Probe versucht, die obere Geometrie (Kegel) nach oben zu drücken (was sie jedoch nicht kann, da der Messspalt während der Messung konstant bleibt). Dieser Effekt wird durch die N1-Kurve hervorgehoben, die die Schubspannungskurve übersteigt.

2) Scherviskosität (η, blau) und Stationarität (schwarz) während der Rotationsmessung an einer Polypropylenschmelze
3) Scherviskosität (η, blau), Schubspannung (σ, grün) und erste Normalspannungsdifferenz (N1, rot) während der Rotationsmessung an einer Polypropylenschmelze

Erhalt der Scherviskositätswerte mit der Cox-Merz-Regel

In solchen Fällen, in denen die Scherviskositätskurve nicht angemessen auswertet werden kann, ist die Cox- Merz-Regel [2] sehr hilfreich. Es handelt sich hierbei um eine empirische Beziehung, die besagt, dass bei einer Vielzahl von ungefüllten Polymerschmelzen die Scherviskosität (η) in Abhängigkeit von der Scherrate (γ· [s-1]) gleich der komplexen Viskosität (η* [Pa·s]) in Abhängigkeit von der Kreisfrequenz (ω [rad/s]) ist. Die komplexe Viskosität wird mittels einer sogenannten Oszillationsmessung, in der die Frequenz variert wird (Frequenzsweep), erhalten.

Zunächst wird ein Amplitudensweep durchgeführt, um die Belastung zu bestimmen, bei der dieser Frequenzsweep durchgeführt werden muss. Tatsächlich muss die auf das Polymer aufgebrachte Deformation niedrig genug sein, um nicht zum Zusammenbruch der Struktur zu führen. In anderen Worten, sie muss im linear viskoelastischen Bereich (Linear Viscoelastic Region (LVER)In the LVER, applied stresses are insufficient to cause structural breakdown (yielding) of the structure and hence important micro-structural properties are being measured.LVER) der Probe liegen, in dem die DehnungDehnung beschreibt die Deformation eines Materials, das durch eine von außen einwirkende Kraft oder Spannung mechanisch belastet wird. Gummimischungen zeigen Kriech-Eigenschaften, wenn eine statische Last aufgebracht wird.Dehnung zur Spannng proportional ist. 

Tabelle 2 fasst die Bedingungen der an Polyproyplen durchgeführten Oszillationsmessungen zusammen. 

Abbildung 4 zeigt die Kurven von Elastizitäts- und Verlustmodul sowie Phasenwinkel in Abhängigkeit von der Deformation (A, links) und der entsprechenden Schubspannung (B, rechts). Am Anfang der Messung bleiben Elastizitäts- und Verlustmodul konstant: Dies deutet daraufhin, dass die aufgebrachte Deformation die Probenstruktur nicht zerstört. Ab einer Scherdehnung von 20 % führt eine Erhöhung der Amplitude jedoch zu einer Abnahme der beiden Module, während der Phasenwinkel ansteigt. Gemäß ISO 6721-10 wird das Ende des Linear Viscoelastic Region (LVER)In the LVER, applied stresses are insufficient to cause structural breakdown (yielding) of the structure and hence important micro-structural properties are being measured.LVER bei der Amplitude festgelegt, die zu einer Abnahme des G‘-Werts von 5 % führt. In diesem Fall entspricht dies einem Wert von 32 %.


Tabelle 2: Parameter der Oszillationsmessungen

 

Amplitudensweep

Frequenzsweep

Gerät

Kinexus ultra mit elektrisch beheizbarer Kammer

Geometrie

PP25 (Platte-Platte, Durchmesser: 25 mm)

PP25

Temperatur

190 °C (ca. 30 °C über der Schmelztemperaturen und SchmelzenthalpienDie Schmelzenthalpie einer Substanz, auch bekannt als latente Wärme, stellt ein Maß der Energiezufuhr dar, typischerweise Wärme, welche notwendig ist, um eine Substanz vom festen in den flüssigen Zustand zu überführen. Der Schmelzpunkt einer Substanz ist die Temperatur, bei der die Substanz von einem festen (kristallinen) in den flüssigen Zustand (isotrope Schmelze) übergeht.Schmelztemperatur)

Messspalt

1 mm

1 mm

Frequenz

1 Hz

10-3 bis 10 Hz

DehnungDehnung beschreibt die Deformation eines Materials, das durch eine von außen einwirkende Kraft oder Spannung mechanisch belastet wird. Gummimischungen zeigen Kriech-Eigenschaften, wenn eine statische Last aufgebracht wird.Dehnung (γ*)

1 bis 100 %

-

Schubspannung (σ*)

-

1.000 Pa

4) Speicher- (G´, blau) und Verlustschermodul (G”, rot) und Phasenwinkel (δ, grün) während der Oszillationsmessung an einer Polypropylenschmelze. A: in Abhängigkeit on der Scherdehnung B: in Abhängigkeit von der Schubspannung

 

Die während des Amplitudensweeps erhaltenen Kurven können auch in Abhängigkeit von der Schubspannung dargestellt werden (Abbildung 4B). Für den anschließenden Frequenzsweep wurde eine Schubspannung von 1.000 Pa beaufschlagt. 

Abbildung 5 zeigt die Scherviskosität der Rotationsmessung (blau) zusammen mit der komplexen Viskosität aus dem Frequenzsweep (orange). Beide Kurven stimmen im Bereich von 10-2 und 2 rad/s gut überein. Dies bestätigt die vorher diskutierten Ergebnisse. Die bei höheren Scherraten auftretenden Fließinstabilitäten, verusacht durch den Weissenberg-Effekt, verhindern, dass der Fluss zeitunabhängig ist. Folglich können somit in diesem Bereich mit der Rotationsmessung keine zuverlässigen Ergebnisse erzielt werden. Die Anwendung der Cox-Merz-Regel erlaubt jedoch die einfache Bestimmung der stationären Scherviskosität: Mann muss zur Durchführung einer Oszillationsmessung lediglich die komplexe Viskosität in Abhängigkeit der Kreisfrequenz erhalten.

5) Scherviskosität (blau) und komplexe Viskosität (η*, orange) während der Rotationsund Oszillationsmessungen an einer Polypropylenschmelze

Zusammenfassung

Die Scherviskosität und komplexe Viskosität einer Polypropylenschmelze wurden mittels Rotations- und Oszillationsmessungen verglichen. Wendet man ein gleichmäßiges Fließen auf das Polymer an, ist eine gute Übereinstimmung zwischen Scherviskosität und komplexer Viskosität ersichtlich, wie aufgrund der Cox-Merz- Regel zu erwarten war. 

Bei höheren Scherraten, bei denen Instabilitäten auftreten, wird kein gleichmäßiges Fließen mehr erreicht. Hier ist die Cox-Merz-Regel sehr hilfreich, da man durch die Kenntnis der komplexen Viskosität weitere Informationen über die Scherviskosität bzw. über den Scherviskositätsverlauf erhält.

Literatur

  1. [1]
  2. [2]
    Correlation of dynamic and steady flow viscosities, W.P. Cox, E. H. Merz, Journal of Polymer Science, Volume 28,Issue 118, April 1958, Pages 619-622