Kinetische Analyse der Scherviskosität zur Vorhersage des Aushärteverhaltens eines 2-Komponenten-Epoxidklebstoffs

Einleitung

Epoxidharze werden häufig für Beschichtungen, Laminierungen und elektronische Materialien eingesetzt. Ihr Applikationsbereich reicht bis hin zu Klebstoffanwendungen, insbesondere, wenn Haltbarkeit und Festigkeit gefragt sind.

Viele Epoxidklebstoffe bestehen aus zwei Komponenten, dem Epoxidharz und einem Härter. Werden beide Komponenten gemischt, setzt die Aushärtung ein: Zwischen Epoxidharz und Härter entstehen Bindungen, die ein strukturelles Netzwerk bilden. In der Praxis sind der Reaktionsbeginn und dessen Dauer von Interesse. 

In diesem Application Note werden die Änderungen der rheologischen Eigenschaften eines 2-Komponenten- Epoxidklebstoffs während der Aushärtung mittels Rotationsrheometrie untersucht. Desweiteren werden die Messungen zur Bestimmung der Reaktionskinetik herangezogen, denn die Kenntnis der kinetischen Parameter kann zu einer Simulation der Aushärtereaktion für benutzerdefinierte Temperatur- und Zeitbedingungen verwendet werden.

Messbedingungen

Zur Ermittlung des Aushärteverhaltens wurden an dem 2-K-Epoxidklebstoff Oszillationsmessungen mit dem NETZSCH-Rotationsrheometer Kinexus durchgeführt.

Nach Mischen der zwei Komponenten des 2-K-Epoxidklebstoffs bei Raumtemperatur wurde die Mischung auf die untere Platte des Kinexus aufgetragen. Die Aushärtung kann beginnen, sobald beide Komponenten gemischt sind. Deswegen wurde die Prüfzeit bereits beim Mischen auf 0 gesetzt, obwohl sich die Probe zu diesem Zeitpunkt noch außerhalb des Rheometers befand.

Für die Messung wurden Einwegplatten mit einem Durchmesser von 8 mm verwendet. Dieser kleine Durchmesser wurde gewählt, um die Endsteifigkeit der ausgehärteten Proben im Vergleich zur Steifigkeit des Rheometers gering genug zu halten. Während der gesamten Messung wurde ein Messspalt von 1 mm verwendet.

In Tabelle 1 sind die Bedingungen der Oszillationsmessung während der Aushärtung mit dem Kinexus Rotationsrheometer zusammengefasst.

Tabelle 1: Bedingungen der Aushärtemessung

Table 1: Conditions of the Curing Measurement

GerätKinexus ultra+
GeometrieParallele Einwegplatten, Durchmesser: 8 mm (PP8)
Messspalt1 mm
Temperaturprogramm

25 °C ... 140 °C at 2 K/min

IsothermUntersuchungen bei geregelter und konstanter Temperatur werden als isotherm bezeichnet.Isotherm 140 °C for 5 min

140 °C ... 25 °C at 2 K/min

Frequenz1 Hz

Ergebnisse und Diskussion

Abbildung 1 zeigt die Messkurve des komplexen Schermoduls. In der Regel führt die Aufheizung der Probe zur Erweichung, d.h. zu einer Abnahme der Steifigkeit um zwei Größenordnungen, wenn keine chemische Reaktion stattfindet. In diesem Beispiel treten in der Aufheizung jedoch mehrere Effekte auf: Zusätzlich zur Abnahme des Moduls beschleunigt die Aufheizung die Aushärtung des Klebstoffs. Dies führt zu einem Anstieg des Schubmoduls (grüne Kurve).

Der steile Anstieg im komplexen Schubmodul G* am Anfang der Messung weist auf den Beginn der mehrstufigen Aushärtung der Probe hin. Der folgende leichte Abfall des komplexen Schubmoduls ist auf die Dominanz des Temperatureffekts über den Aushärtungseffekt zurückzuführen: Eine höhere Temperatur führt zu einer geringeren Steifigkeit. Es schließt sich eine weitere Aushärtungsstufe an. Nach der 5-minütigen isothermen Stufe ist die Reaktion nahezu abgeschlossen. Die anschließende Abkühlung wird durchgeführt, um die durch die GlasübergangstemperaturDer Glasübergang gilt als eine der wichtigsten Eigenschaften amorpher und teilkristalliner Materialien, wie z.B. anorganische Gläser, amorphe Metalle, Polymere, Pharmazeutika und Lebensmittel, usw., und bezeichnet den Temperaturbereich, in dem sich die mechanischen Eigenschaften des Material von einem harten und spröden Zustand in einen weicheren, verformbaren oder gummiartigen Zustand ändern.Glasübergangstemperatur gegebene maximale Einsatztemperatur zu ermitteln. Während der Abkühlung auf 25 °C steigt der komplexe Schubmodul wieder um mehr als 2 Größenordnungen zwischen 45 °C und 25 °C an. Dies auf die Glasübergangstemperatur des ausgehärteten Harzes zurückzuführen.

1) Komplexer Schubmodul (grüne Kurve) eines Epoxidklebstoffs während der Aufheizung und anschließender Abkühlung (Temperatur: schwarze Kurve)

Aushärteprofil und Detektion des Glasübergangs werden ebenfalls durch Anzeige von Speicher- und Verlustmodul sowie des Phasenwinkels dargestellt (Abbildung 2).

2) Elastische (blaue Kurve) und viskose Komponenten (orange Kurve) des Schermoduls und Phasenwinkel (graue Kurve) eines Epoxidklebstoffs während der Aufheizung und anschließenden Abkühlung (Temperaturverlauf: schwarze Kurve)

Zu Beginn des Experiments dominiert die viskose Komponente (orange Kurve) über die elastische Komponente (blaue Kurve). Dieses Verhalten lässt sich auch mit dem Phasenwinkel (graue Kurve) beobachten. Er nimmt zu Beginn des Experiments einen Wert von nahezu 90° ein. Das bedeutet, dass unter diesen Messbedingungen die Probe nahezu ausschließlich flüssigkeitsähnliche Eigenschaften aufweist. Der Anstieg des elastischen Moduls zu Beginn der Messung korreliert mit dem Aushärtebeginn. Die Aushärtung verläuft in zwei Stufen, erkennbar an den beiden Anstiegsstufen in der Kurve der elastischen Komponente sowie an der zweistufigen Abnahme des Phasenwinkels. Nach der ersten Stufe verhält sich die Probe noch immer wie eine Flüssigkeit, da der viskose Modul einen höheren Wert als der elastische Modul aufweist. Unter den Zeitskalen der angewandten Oszillationsfrequenz tendiert die Probe weiterhin zum Fließen. Das bedeutet, dass die mit dem Klebstoff bestrichenen Bauteile zwar zusammenkleben, jedoch auf diesen Zeitskalen noch verschoben werden können.

Die Kurven des elastischen und viskosen Anteils des Schermoduls kreuzen sich bei 67 °C (21 min). Ab dieser Temperatur dominieren die feststoffähnlichen Eigenschaften des Klebstoffs die flüssigkeitsähnlichen Eigenschaften.

Während der Abkühlung tritt der Glasübergang auf, was den Anstieg des elastischen und viskosen Moduls und den Peak im Phasenwinkel bei 34,4 °C erklärt. Bei Temperaturen unterhalb der Glasübergangstemperatur befinden sich die Polymerketten in einem amorphen, glasartigen Zustand; ihre Beweglichkeit entlang der Hauptachse ist eingefroren. Ist die Glasübergangstemperatur der ausgehärteten Probe niedriger als die endgültige Aushärtungstemperatur von 140 °C, dann läuft die Aushärtereaktion weiter, solange die Temperatur höher als die Glasübergangstemperatur und bis die maximal mögliche Netzwerkdichte für diese Messbedingungen erreicht ist. Sobald die Temperatur unter die Glasumwandlungstemperatur fällt, stoppt die Reaktion.

Kinetische Analyse der Aushärtereaktion

Die Software Kinetics Neo ermöglicht die Bestimmung der kinetischen Parameter einer chemischen Reaktion. Auch kann die komplexe Viskosität auf Basis von rheologischen Messungen vorhergesagt werden. Dazu werden Messungen mit unterschiedlichen Heizraten (oder verschiedenen isothermen Temperaturen) durchgeführt. Anhand dieser verschiedenen Messungen ist Kinetics Neo in der Lage, die Anzahl der Stufen zu bestimmen, die die Aushärtereaktion beschreiben. Für jede dieser Stufen berechnet die Software auch die kinetischen Parameters, d.h. Reaktionstyp, Aktivierungsenergie und die Reaktionsordnung. In Tabelle 2 sind die Bedingungen für diese Messungen zusammengefasst.

Tabelle 2: Messbedingungen der kinetischen Analyse

Table 2: Measurement conditions of the kinetic analysis

GerätKinexus ultra+
GeometrieParallele Einwegplatten, Durchmesser: 8 mm (PP8)
Messspalt1 mm
TemperaturprogrammRaumtemperatur bis 120 °C/140 °C
Heizrate1, 2 und 5 K/min
Frequenz1 Hz

Abbildung 3 zeigt die Messkurven, die mit unterschiedlichen Heizraten durchgeführt wurden. Da die rheologischen Messungen bereits auf eine zweistufige Reaktion hindeuten, wird für die kinetische Analyse ein Modell mit zwei aufeinanderfolgenden Stufen gewählt.

3) Komplexe Scherviskosität während der Aufheizung mit jeweils 1, 2 and 5 K/min (durchgezogene Linien) und entsprechende Temperatursignale (gestrichelte Linien)

In Abbildung 4 sind die gemessenen und die entsprechenden mit Kinetics Neo berechneten Kurven gegenübergestellt. Die zugehörigen, für die Berechnung verwendeten Parameter zeigt Tabelle 3.

4) Vergleich der gemessenen rheologischen Kurven (Symbole) und mit Kinetics Neo berechnetem Fit (durchgezogene Linien). Der Korrelationskoeffizient R2 beläuft sich auf 0,99.

Table 3: Kinetische Parameter, berechnet mittels Kinetics Neo

Table 3: Kinetic parameters calculated by Kinetics Neo

 Stufe 1Stufe 2
Reaktionstypn-te Ordnung mit Autokatalysen-te Ordnung mit Autokatalyse
Aktivierungsenergie [kJ/mol]16,99673,611
Log (Präexponential-Faktor) [Log 1/s]-0,6317,676
Reaktionsordnung0,3691,604
Log (Präexponential-Faktor der Autokatalyse)1,4660,548
Beitrag0,4060,592

Simulation der Aushärtung für benutzerspezifischeBedingungen

Basierend auf den ermittelten kinetischen Parametern ist Kinetics Neo in der Lage, das Verhalten der Probe für beliebige Zeit-/Temperaturbedingungen zu berechnen. 

Als Beispiel zeigen Abbildungen 5 und 6 das Aushärteverhalten der Probe bei unterschiedlichen isothermen Temperaturen über 2 bzw. 30 Stunden. Erwartungsgemäß verläuft die Aushärtung bei höheren Temperaturen schneller. Die erste Aushärtestufe, die einer Umsatzrate von ca. 40 % entspricht, wird bei allen dargestellten Temperaturen in den ersten Minuten erreicht. Um eine vollständige Aushärtung des Klebstoffs zu gewährleisten, ist jedoch ein längerer Zeitraum erforderlich. Dies kann je nach Temperatur mehrere Tage dauern.

5) Vorhersage zum Aushärteverhalten der Probe über 2 Stunden bei unterschiedlichen Temperaturen
6) Vorhersage zum Aushärteverhalten der Probe über 30 Stunden bei unterschiedlichen Temperaturen

Vergleich der mittels Kinetics Neo simulierten Kurveund der mittels Kinexus gemessenen Kurve

Um die Gültigkeit des Kinetikmodells auf Basis der mittels Experimenten erhaltenen Ergbenisse zu überprüfen, wurde eine neue Messung bei 30 °C während 12 Stunden durchgeführt. Die Ergebnisse wurden mit den von Kinetics Neo berechneten Kurven der komplexen Scherviskosität verglichen. 

Die gemessene komplexe Scherviskosität ist in Abbildung 7 dargestellt. Die mittels Kinetics Neo berechnete Kurve für 30°C (isotherme Temperatureführung) ist in Abbildung 8 (grüne Kurve) widergegeben. Der Beginn der Aushärtereaktion ist mit der Unsicherheit in der Probenvorbereitung (Mischen der Komponenten) behaftet. Diese Einflüsse sind nach 2 h Messzeit vernachlässigbar, sodass hier die Darstellung der Messkurven auch erst ab 2 h beginnt.

Zwischen 2 und 12 Stunden führt die Aushärtung zu einem Anstieg von fast 1,5 Dekaden, sowohl für die gemessenen als auch für die berechneten Kurven. Dies belegt die gute Übereinstimmung der Ergebnisse.

7) Komplexe Scherviskosität eines 2-Komponenten-Epoxidharzes während der Aushärtung bei 30 °C. Bereich zwischen 2 und 12 Stunden.
8) Mittels Kinetics Neo berechnete komplexe Scherviskositätskurve für die Aushärtung der Probe während 12 Stunden bei 20, 30 und 40 °C.

Zusammenfassung

Das rheologische Aushärteprofil eines 2-Komponenten-Epoxidharz-Klebstoffs wurde mit dem Kinexus-Rotationsrheometer aufgezeichnet. Zur Bestimmung der Reaktionskinetik wurden Messungen mit unterschiedlichen Heizraten an den in Neo Kinetics importierten Ergebnissen durchgeführt. Darüberhinaus gelingt es mit dieser leistungsstarken Software, das Verhalten der Probe bei unterschiedlichen Einsatz-/Temperaturbedingung vorherzusagen.

Danksagung

Wir bedanken uns herzlich bei Dr. Adrian Hill (NETZSCH UK) für die vielen interessanten Diskussionen.