Tieferer Einblick in die Pyrolyse von Acetylsalicylsäure mittels Thermogravimetrie und GC-MS, Teil 1

Einleitung

In der Pharmazie gibt es kaum einen Wirkstoff, über den mehr geschrieben wurde als über Acetysalicylsäure (oder kurz ASS; im englischsprachigen Raum wird der Markenname Aspirin™ sogar oft als Synonym verwendet). Die Erfolgsgeschichte von Aspirin begann Ende des 19. Jahrhunderts, als Dr. Felix Hoffmann die Substanz in den BAYER-Laboren erstmals ohne Verunreinigungen synthetisierte. Bis heute ist es eines der beliebtesten Arzneimittel, das in einem breiten therapeutischen Spektrum eingesetzt wird. Es gehört zur Gruppe der nichtsteroidalen, entzündungshemmenden Antirheumatika (NSAIDs) und wird zur Behandlung von Schmerzen, Fieber und Entzündungen eingesetzt. Außerdem wird es zur Vorbeugung eines erneuten Herzinfarkts oder Schlaganfalls bei Risikopatienten angewandt. 1977 wurde ASS als Analgetikum in die “Liste der unentbehrlichen Arzneimittel“ der WHO (Weltgesundheitsorganisation) aufgenommen. [1]

Dies ist das erste von vier Application Notes, die das thermische Verhalten von Acetylsalicylsäure näher untersuchen: Zersetzung in unterschiedlichen Gasatmosphären, Zersetzungskinetik und die entstehenden Gasspezies. [2, 3, 4]


Tabelle 1: STA-Messparameter

Parameter

Acetylsalicylsäure

Probeneinwaage

4,96 mg

Atmosphäre

Helium

Tiegel

Al2O3, 85 μl, offen

Temperaturprogramm

RT bis 450 °C, 10 K/min

Spülgasrate

100 ml/min

Probenhalter

TGA, Typ S

Ergebnisse und Diskussion

Zur Untersuchung der thermischen Zersetzung von Acetylsalicylsäure wurden thermogravimetrische Messungen (TG) mit der NETZSCH STA 449 F3 Jupiter®, gekoppelt an ein GC-MS-System (Agilent 8890 Gaschromatograph und das Agilent 5975 MSD) durchgeführt. Als Spülgasatmosphäre wurden mehrere Gase, z.B. Helium, verwendet. Detailliertere Informationen zu den Messbedingungen sind in Tabelle 1 zusammengefasst.

Die Pyrolyse von Acetylsalicylsäure weist zwei Massenverluststufen (siehe Abbildung 1) auf. Der erste Massenverlust von 66,4 % ist mit einem Peak in der Massenverlustrate (DTG) bei 170 °C verbunden. Die zweite Massenverluststufe beträgt 33,4 % mit einem Peak in der DTG-Kurve bei 327 °C. 

Um einen Einblick in die Pyrolyseprodukte zu erhalten, wurde die TG-GC-MS-Kopplung eingesetzt. Das komplexe Gasgemisch wird aufgetrennt und die verschiedenen Komponenten können identifiziert werden. Die Messparameter für das GC-MS sind in Tabelle 2 beschrieben.

1) Temperaturabhängiger Massenverlust (TG) und Massenverlustrate (DTG) von Acetylsalicylsäure in Heliumatmosphäre

 

Tabelle 2: GC-MS-Messparameter

Parameter

Kühlfallenmodus

Säule

Agilent HP-5ms

Säulenlänge

30 m

Säulendurchmesser

0,25 mm

Kühlfalle

-50 °C, 45 min

Säulentemperatur

40 °C, IsothermUntersuchungen bei geregelter und konstanter Temperatur werden als isotherm bezeichnet.isotherm, 48 min

40 °C bis 300 °C, 15 K/min

Gasatmosphäre

He

Säulenfluss (Split)

2 ml/min (5:1)

Ventilschaltungen

jede Minute

 

Die freigesetzten Gase wurden im Minutentakt auf die Kühlfalle abgeleitet. Erst nach der thermogravimetrischen Messung wurde die Kühlfalle von -50 °C bis 300 °C mit einer Heizrate von 300 K/min aufgeheizt, um die kondensierten Verbindungen zu verdampfen und über die GC-Säule zu trennen (Aufheizen der Säule mit 15 K/min). Diese Methode erhöht die Konzentration der Nebenprodukte und ermöglicht eine ausgezeichnete Trennung. Der resultierende Gesamtionenstrom ist in Abbildung 2 dargestellt. Der Vergleich der detektierten MS-Spektren für jeden Peak mit der NIST-Bibliothek ergibt eine Reihe von Verbindungen mit ausgezeichneter Trefferqualität. Die Identifizierung ist beispielhaft für die Peaks mit einer Retentionszeit von 59,31 min und 60,89 min in den Abbildungen 3 und 4 aufgezeigt. Neben Essigsäure, Phenol, Salicylsäure und Acetylsalicylsäure wurden auch die in der Literatur angegebenen zyklischen Oligomere der 2-Hydroxybenzoesäure gefunden [5]. Diese Analyse zeigt, dass sowohl Zersetzung als auch VerdampfungVerdampfung beschreibt die Phasenumwandlung eines Stoffes von der flüssigen in die gasförmige Phase. Beim Verdampfen eines Stoffes unterscheidet man grundsätzlich zwei Formen, Sieden und Verdunstung.Verdampfung gleichzeitig stattfinden und erklärt zudem, warum die beiden Massenverluststufen nicht getrennt sind.

2) Chromatogramm der in der Kühlfalle aufgefangenen freigesetzten Zersetzungsprodukte von Acetylsalicylsäure

 

Bibliothekssuche

Retentionszeit [min]

Name

Trefferqualität
49,89

Essigsäure

91
55,58

Phenol

96
56,63

Essigsäure Phenylester

90
59,31

2-Hydroxybenzoesäure (= Salicylsäure)

97
60,89

Acetylsalicylsäure

81
62,94

Phenylsalicylat

95
63,84

Xanthon

97
64,79

6H,12H-Dibenzo[b,f][1,5]dioxocin-6,12-dione

(Dimer von 2-Hydroxybenzoesäure)

64
71,02

2,10,18-Trioxatetracyclo[18.4.0.0(4,9).0(12,17)]

tetracosa-1(24),4,6,8,12,14,16,20,22-nonaene-3,11,

19-trione (Trimer von 2-Hydroxybenzoesäure)

90
3) Gemessenes Spektrum bei 59,31 min (rot, oben) im Vergleich zum Bibliotheksspektrum von 2-Hydroxybenzoesäure (blau, unten)
4) Gemessenes Spektrum bei 60,89 min (rot, oben) im Vergleich mit dem Bibliotheksspektrum von Aspirin (Acetylsalicylsäure; blau, unten)

Zusammenfassung

Die Kombination von Thermogravimetrie und GC-MS (Gaschromatographie-Massenspektrometrie) ist eine leistungsfähige Technik, um einen tiefen Einblick in thermische Zersetzungsprozesse und die dabei freigesetzten Gase zu erhalten. Die thermische Zersetzung von Acetylsalicylsäure in Heliumatmosphäre führt zur Freisetzung eines komplexen Gasgemisches aus mindestens neun Verbindungen. Frühere Untersuchungen mittels TG-FTIR (Fourier-Transform-Infrarot-Spektroskopie, gekoppelt mit einer Thermowaage) zeigten, dass in der ersten Massenverluststufe Essigsäure und Salicylsäure freigesetzt werden, während die zweite Massenverluststufe auf eine komplexe ZersetzungsreaktionEine Zersetzungsreaktion ist eine thermisch induzierte Reaktion einer chemischen Substanz, die fest und/oder gasförmige Zersetzungsprodukte bildet.Zersetzungsreaktion zurückzuführen ist. Die Fähigkeit der GC-MS setzt dort an, wo FT-IR an seine Grenzen stößt und ermöglicht einen viel tieferen Einblick in das Gemisch der gleichzeitig freigesetzten Gase. Mittels TG-GC-MS konnten diese getrennt und identifiziert werden.

Literatur

  1. [1]
    www.bayer.com/en/products/aspirin
  2. [2]
    AN 209 – Tieferer Einblick in die Pyrolyse von Acetylsalicylsäure mittels kinetischer Analyse, Teil 2
  3. [3]
    AN 210 – Tieferer Einblick in die Pyrolyse von Acetylsalicylsäure mittels thermogravimetrischer Messungen in unterschiedlichen Gasatmosphären, Teil 3
  4. [4]
    AN 211 – Tieferer Einblick in die Pyrolyse von Acetylsalicylsäure mittels Thermogravimetrie und Massenspektrometrie, Teil 4 
  5. [5]
    Gregory T. Long, Sergey Vyazovkin, Nicoleigh Gamble, Charles A. Wight, Journal of Pharmaceutical Sciences, Vol. 91, No. 3, March 2002
  6. [6]
    AN 135 – Über das thermische Verhalten von Acetylsalycilsäureund Aspirin