Polymere und Temperatur – Eine heiße Beziehung

Der Einfluss der Temperatur auf die Viskosität und Viskoelastizität von Polymeren und wie sich diese Merkmale auf ihre langfristigen Eigenschaften auswirken

Einleitung

eines Polymers sind kritische Parameter für dessen Verarbeitbarkeit und werden stark von der Temperatur beeinflusst. Eine Temperaturerhöhung verringert die Scherviskosität und Relaxationszeit und trägt somit zu einer leichteren Verarbeitung bei. Allerdings wird dadurch auch die OxidationOxidation kann im Zusammenhang mit thermischer Analyse verschiedene Vorgänge bezeichnen.Oxidation eingeleitet und der thermische Abbau des Produkts beschleunigt. Darüber hinaus erfordert eine weitere Temperaturerhöhung einen höheren Energieverbrauch.

Messbedingungen

In dieser Application Note wird der Einfluss der Temperatur auf die Scherviskosität eines Polypropylenmaterials mittels Rotationsrheometrie untersucht. Die Messbedingungen sind in Tabelle 1 zusammengefasst.

Tabelle 1: Messbedingungen

GerätKinexus ultra+ mit HTC Prime
Geometrie

CP2/20 (Kegel-Platte, Kegelwinkel: 2°,

Durchmesser: 20 mm)

Messspalt70 μm
Temperaturenzwischen 190°C und 230°C
AtmosphäreStickstoff, dynamischer Fluss (1 l/min)

Messergebnisse

In Abbildung 1 sind die Scherviskositätskurven des Materials bei unterschiedlichen Temperaturen dargestellt. Das Polymer zeigt bei jeder Temperatur ein newtonsches Plateau im Bereich niedriger Scherraten. Hier ist die Scherrate nicht hoch genug, um eine Entwirrung der Polymerketten zu bewirken. Mit steigender Temperatur sinkt die Scherviskosität von 1.700 Pa∙s bei 190 °C auf 500 Pa∙s bei 230 °C, also um mehr als den Faktor 3 bei einer Temperaturänderung von nur 40 °C!

1) Polypropylen. Scherviskositätskurve mit ansteigender Temperatur

Besondere Aufmerksamkeit sollte nicht nur auf die Temperatur, sondern auch auf die Atmosphäre gelegt werden. Abbildung 2 zeigt einen Vergleich der Scherviskositätskurven, die bei 230 °C in inerter Atmosphäre (Stickstoff) und oxidierender Atmosphäre (Luft) ermittelt wurden. Die offensichtliche Abnahme der Scherviskosität ganz am Anfang der Untersuchung unter Luft ist auf die OxidationOxidation kann im Zusammenhang mit thermischer Analyse verschiedene Vorgänge bezeichnen.Oxidation des Polymers zurückzuführen.

2) Polypropylen. Scherviskosität bei 230 °C in Stickstoff (blaue Kurve) und Luft (rote Kurve).

Einfluss der Normalkraft

Die Scherviskositätskurven in Abbildung 1 (gemessen in Stickstoff) scheinen darauf hinzudeuten, dass die Viskosität bei allen untersuchten Temperaturen zwischen 4 und 10 s-1 abzunehmen beginnt. Nach genauerer Betrachtung der Daten, insbesondere der Schubspannung (σ) und der ersten Differenz der Normalkaft (N1) stellt sich heraus, dass N1 bei Scherraten über 12 s-1 σ übersteigt (siehe Abbildung 3). Übersteigt N1 σ, sind die Daten nicht mehr zuverlässig. 

Diese hohe Normalkraft ist auf den Weissenberg-Effekt zurückzuführen. Bei hohen Scherraten drückt das Polymer die obere Geometrie nach oben (und die untere nach unten), da es sich um den Kegel wickelt, sodass die Normalkraft stetig ansteigt. Da der Spalt konstant bleibt, können sich die Geometrien nicht vertikal bewegen. Wenn zudem die Normalkraft die Rotationsschubspannung übersteigt, wird die Probe aus dem Spalt herausgedrückt. Danach ist eine Abnahme von N1 zu beobachten.

3) Polypropylen. Messung bei 230 °C in Stickstoff.

Oszillationsmessung an Polymeren

Da Messungen bei konstanter Scherung an Polymerschmelzen zwischen Kegeln und parallelen Platten häufig zu einem Kantenbruch der Probe führen, werden Viskositätstests an diesen Materialien in der Regel mittels Oszillationsmessungen durchgeführt. Die Cox-Merz-Regel [1] ist eine empirische Beziehung, die für die meisten ungefüllten Polymerproben gilt und besagt, dass die konstante Scherviskosität bei bekannter Scherrate gleich der Scherviskosität (komplexe Komponente) bei der entsprechenden Winkelfrequenz ist (siehe Abbildung 4). Deshalb werden für die Untersuchung der Scherviskosität von Polymerschmelzen häufig Oszillationsmessungen eingesetzt. Eine weitere Methode zur Ermittlung von Scherviskositätskurven bei hohen Scherraten ist die Messung mit dem Rosand-Kapillarrheometer (siehe Abbildung 5).

4) Polypropylen bei 190 °C (andere Probe). Scherviskosität in Abhängigkeit von der Scherrate, gemessen mittels Rotationstest (grüne Kurve). Komplexe Viskosität gegen Winkelfrequenz, gemessen mittels Oszillationstest (blaue Kurve). Bei niedrigen Scherraten stimmen Scherviskosität und komplexe Viskosität überein. Dieses Verhalten ist typisch für ungefüllte Polymere (Cox-Merz-Regel). Bei höheren Scherraten wird die Probe im Rotationstest aus dem Spalt herausgedrückt. Dies wird mit den Werten der komplexen Scherviskosität bestimmt.
5) Polypropylen. Scherviskositätskurve bei 190 °C. Das Rosand Kapillarrheometer ist unerlässlich, um zuverlässige Ergebnisse bei hohen Scherraten zu erhalten.

Funktionsweise eines Rotationsrheometers (Oszillationsmessung)

Die obere Platte oszilliert mit definierter Frequenz f [Hz] oder ω [rad/s] und Amplitude [%] oder komplexer Scherdeformation γ [%]. 

Die für diese Oszillation erforderliche komplexe Schubspannung σ* [Pa] wird bestimmt und in einen "in-Phase" und einen "außer-Phase"-Anteil aufgeteilt. 

Der "in-Phase"-Anteil bezieht sich auf die elastischen Eigenschaften (→ G`, Speicherschubmodul), der außer-Phase"-Anteil auf die viskosen Eigenschaften (→ G", Verlustschubmodul) des viskoelastischen Materials. 

Ergebnis: Bestimmung der viskoelastischen Eigenschaften der Proben, insbesondere der komplexen Steifigkeit G* und der komplexen Scherviskosität η* [Pa·s]:

Von verschiedenen Temperaturen zu unterschiedlichenFrequenzen: Zeit-Temperatur-Superposition (TTS)

Die Temperatur eines Polymers beeinflusst nicht nur die Scherviskosität (wie bereits erwähnt), sondern auch seine viskoelastischen Eigenschafen. Da die Entschlaufung und Verschlaufung eines Polymers in Zusammenhang mit der Brownschen Molekularbewegung steht, wirkt sich eine Temperaturänderung auf die viskoelastischen Eigenschaften in gleicher Weise wie eine Zeitänderung aus. Das Verhalten eines Polymers bei einer definierten Temperatur ähnelt dem Verhalten bei einer kürzeren Zeitskala (d.h. einer höheren Frequenz) und höheren Temperatur.

Diese Eigenschaft kann zur Erstellung einer "Masterkurve" herangezogen werden, d.h. typische Ergebniskurven eines Oszillationsversuchs über einen sehr weiten Frequenzbereich. Die Masterkurve wird durch Kombination der Ergebnisse der Frequenzweeps im Normalbereich bei verschiedenen isothermen Temperaturen erstellt.

Abbildung 6 zeigt als Beispiel die Masterkurve eines Asphaltbindemittels bei 25 °C (schwarze Kurve), die anhand von Frequenzsweeps bei verschiedenen Temperaturen zwischen 5 °C und 65 °C berechnet wurde (weitere Informationen darüber hier). Auf diese Weise erhält man über die Masterkurve Vorhersagen über das Langzeitverhalten des Materials (d. h. im Niederfrequenzbereich), ohne zeitaufwändige Messungen durchführen zu müssen. Hier würde die Messung des Punktes bei der niedrigsten angezeigten Frequenz (10-6 Hz) einer Zeit von mehr als 11 Tagen entsprechen!

6) Asphaltbindemittel. Frequenzsweeps bei unterschiedlichen Temperaturen (farbig) und die resultierende Masterkurve für eine Referenztemperatur von 25 °C (schwarz).

Fazit

Mit dem Kinexus-Rotationsrheometer ist es möglich, die Temperaturabhängigkeit der Scherviskosität von Polymerproben genau zu bestimmen. Die Ergebnisse für die konstante Scherviskosität sind für die niedrigen Scherraten akzeptabel, jedoch übersteigt die erste Normalkraftdifferenz N1 bei mittleren bis hohen Scherraten die Schubspannung, was in diesem Fall zu einem Kantenversagen führte. Mit der Cox-Merz-Regel konnten jedoch dieselbe Scherviskositätswerte mit einem Oszillationstest bei höheren Frequenzen erzielt werden Oszillationsfrequenz-Sweep-Tests anstelle von viskometrischen Untersuchungen zur Erstellung von Fließkurven eingesetzt werden.

Auch die Temperatur hat Einfluss auf die viskoelastischen Eigenschaften von Polymeren, sodass mit dem Prinzip der Zeit-Temperatur-Superposition das rheologische Verhalten über einen sehr großen Frequenzbereich mit einer erheblich kürzeren Messzeit vorhergesagt werden kann.

Literatur

  1. [1]
    Correlation of dynamic and steady flow viscosities, W.P. Cox, E.H. Merz, Journal of Polymer Science, Volume 28, Issue 118, Apri 1958, Pages 619-622