Wasserstoffperoxid
Reines Wasserstoffperoxid (H2O2) ist eine hellblaue Flüssigkeit, die in Verbindung mit Wasser in jedem Verhältnis mischbar ist. Niedrigprozentige wässrige Lösungen werden aufgrund ihrer stark oxidierenden Eigenschaften häufig als Bleichmittel eingesetzt. Neben dem Bleichen von Holz, Papier oder Haaren werden Wasserstoffperoxidlösungen auch als Oxidationsmittel oder in medizinischen Anwendungen als Desinfektionsmittel verwendet. Die Tendenz von Wasserstoffperoxid, sich in Wasser und Sauerstoff zu zersetzen (Gleichung 1), ist der Grund für die Anwendung als Flüssigtreibstoff in Raketentriebwerken:
Das Multi-Modul-Kalorimeter (MMC) im Vergleich zur Differential Scanning Calorimetry (DSC)
Das NETZSCH Multi-Modul-Kalorimeter MMC 274 Nexus® (Abbildung 1) bietet drei unterschiedliche Messmodule [1]. Das Accelerating Rate Calorimetry (ARC)Die Methode, die isotherme und adiabatische Testverfahren beschreibt, wird zur Detektion thermisch induzierter Zersetzungsreaktionen eingesetzt. Das Standardverfahren ist Heat-Wait-Search (HWS.ARC®-Modul kann für thermische Gefahrenstudien eingesetzt werden; das Knopfzellen-ModulDas Kalorimetermodul eines Mult-Modul-Kalorimeters (MMC), das Scanning- und isotherme Tests kompletter Knopfzellen unterschiedlicher Größe erlaubt. Das DSC-ähnliche Zwillingsdesign liefert die Wärmetönung während eines Aufheizprogramms der beim Laden und Entladen von Akkus.Knopfzellen-Modul ist auf die Untersuchung von Batterien spezialisiert und das Scanning-Modul kann zur Auswertung von kalorischen Daten einer einzigen Aufheizung herangezogen werden. Im Gegensatz zur weitverbreiteten Technik der Dynamischen Differenz-Kalorimetrie (Engl. Differential Scanning Calorimetry, DSC) kann das Scanning-Modul Proben mit einem deutlich größeren Volumen von bis zu 2 ml aufnehmen. Für die Aufheizung der Proben stehen zwei Optionen zur Verfügung – entweder über eine konstante Heizrate oder über die Zufuhr von konstanter Leistung. Aus diesen beiden Informationen lässt sich anschließend ein Wärmestromsignal berechnen. Durch Verwendung von Metallen, wie Indium, Zinn und Bismut, lassen sich sowohl Temperatur als auch Empfindlichkeit des Gerätes bestimmen. Mit 1000 bis 9000 mg (Probenvolumen ca. 1 ml) liegen die typischen Probeneinwaagen für das MMC deutlich höher als für DSC-Geräte, bei denen typischerweise 5 bis 10 mg eingesetzt werden. Die ausgewertete Unsicherheit für das Scanning-Modul des MMC liegt bei ca. 1 % für die Temperatur und unter 5 % für die Enthalpie.
Scanning-Modul und ARC®-Modul
In dieser Arbeit wird das thermische Zersetzungsverhalten von Wasserstoffperoxid (35 %) durch Anwendung zweier MMC-Module – dem Scanning-Modul (siehe Abbildung 2) und dem ARC®-Modul (siehe Abbildung 3) – untersucht. Über einen externen Heizer, der den Probenbehälter direkt umgibt (Abbildung 4), versorgt das Scanning-Modul die Probe mit einer konstanten Leistung.
Messbedingungen
Wasserstoffperoxid (Sigma Aldrich) wurde als wässrige Lösung (35 %) erhalten und bei Umgebungstemperatur gelagert. Die niedrigen Konzentrationen werden duch Verdünnung mit Wasser hergestellt. Die Konzentrationen der Verdünnungsreihen sind in den Tabellen 1 und 2 zusammengefasst. Die Messbedingungen für das Scanning- und für das ARC®-Modul können der Tabelle 3 entnommen werden.
Tabelle 1: Probenzusammensetzungen für die Messungen mit dem Scanning-Modul
Probennummer | Probenkonzentration/% | H2O2/g | H2O/g | Gesamt/g |
---|---|---|---|---|
1 | 35 | 1,03106 | 0,0 | 1,03106 |
2 | 26 | 0,75757 | 0,25623 | 1,0138 |
3 | 17 | 0,5148 | 0,52494 | 1,03974 |
4 | 8,6 | 0,25169 | 0,7741 | 1,02579 |
5 | 4,3 | 0,12376 | 0,88605 | 1,00981 |
6 | 2,6 | 0,07316 | 0,92551 | 0,99867 |
7 | 1,1 | 0,03099 | 0,96707 | 0,99806 |
8 | 0,4 | 0,01215 | 1,00176 | 1,01391 |
Tabelle 2: Probenzusammensetzungen für die Messungen mit dem ARC®-Modul
Probennummer | Probenkonzentration/%/% | H2O2/g | H2O/g | Gesamt/g |
---|---|---|---|---|
9 | 35 | 1,02157 | 0,0 | 1,02157 |
10 | 17 | 0,74935 | 0,52494 | 1,00359 |
11 | 8,6 | 0,51466 | 0,50962 | 1,02428 |
12 | 4,3 | 0,25036 | 0,77525 | 1,02561 |
13 | 2,6 | 0,14776 | 0,877248 | 1,02034 |
Tabelle 3: Messbedingungen
MMC 274 Nexus® | ||
---|---|---|
MMC.Modul | Scanning | ARC® |
Behältermaterial | Edelstahl | Edelstahl |
Behältertyp | geschlossen | geschlossen |
Behältermasse | 7,0 bis 7,25 g | 7,0 bis 7,25 g |
Aufheizung | konstante Leistung (250 mW) | |
Atmosphäre | Luft | Luft |
Spülgasrate | statisch | statisch |
Temperaturbereich | RT ... 250°C | RT ... 250°C |
Probenmasse | 998,67 bis 1039,74 mg | 1003,6 bis 1025,6 mg |
Ergebnisse und Diskussion
In Abhängigkeit von der Änderung der spezifischen Wärmekapaziät der Proben hat die Beaufschlagung mit einer konstanten Leistung in der Regel eine nahezu konstante Aufheizrate an der Probe zur Folge. Abbildung 5 zeigt das Ergebnis der Aufheizung von Wasserstoffperoxid (35 %) mit dem Scanning-Modul bei einer konstanten Leistungsaufnahme von 250 mW. Die resultierende Aufheizrate beträgt ca. 1 K/min für die ersten 60 Minuten. Nach einer Stunde beginnt die ZersetzungsreaktionEine Zersetzungsreaktion ist eine thermisch induzierte Reaktion einer chemischen Substanz, die fest und/oder gasförmige Zersetzungsprodukte bildet.Zersetzungsreaktion und generiert zusätzliche Wärme. Während der Zersetzungsreaktion steigt die Heizrate auf ein Maximum von 5,6 K/min und damit auch der detektierte Druck. Gemäß Gleichung 1 erzeugt die Zersetzungsreaktion Sauerstoff. Diese Gasbildung ist neben der VerdampfungVerdampfung beschreibt die Phasenumwandlung eines Stoffes von der flüssigen in die gasförmige Phase. Beim Verdampfen eines Stoffes unterscheidet man grundsätzlich zwei Formen, Sieden und Verdunstung.Verdampfung von Wasser der Hauptgrund für den Druckanstieg während der Aufheizung.
Vergleich des Verhaltens von H2O2, H2O and leerem Behälter
Die Ergebnisse in Abbildung 5 zeigen ausschließlich die Aufheizung der Probe. Da die Zersetzungsreaktion von Wasserstoffperoxid nicht reversibel ist, wird der erzeugte Sauerstoff nicht wieder aufgenommen, um während der Abkühlung, im Sinne einer Rückreaktion, das ursprüngliche Wasserstoffperoxid wieder zu bilden. Stattdessen kühlen Wasser und Sauerstoff als Flüssigkeit bzw. Gas wieder auf Umgebungstemperatur ab. Das Drucksignal zeigt nach der Abkühlung auf 40 °C einen Restdruck von 17,7 bar, was der Menge an Sauerstoff entspricht, die während der Zersetzungsreaktion entstanden ist (Abbildung 6). Der analoge Versuch mit der gleichen Menge an Wasser statt Wasserstoffperoxidlösung zeigt zwar während der Aufheizung auch einen Druckanstieg, da jedoch das Wasser chemisch unverändert bleibt, sinkt der Druck während der Abkühlung wieder auf den Ausgangswert zurück. Deshalb zeigt die gestrichelte blaue Linie, die das Drucksignal für Wasser während der Abkühlung darstellt, Werte, die nahezu identisch mit denen der Aufheizung sind (durchgezogene Linie). Ergänzend sei erwähnt, dass die grünen Linien den Verlauf des Drucksignals während der Aufheizung und Abkühlung für einen leeren Behälter zeigen.
H2O2-Proben mit unterschiedlichen Konzentrationen
Speziell beim Vergleich mit Wasser ist ersichtlich, dass die Verdampfung – die teilweise auch innerhalb eines geschlossenen Behältersystems auftritt – immer reversibel ist. Dies wird durch das Drucksignal bei 40 °C nach der Abkühlung bestätigt. Andererseits generiert die Zersetzungsreaktion von Wasserstoffperoxid eine bestimmte Gasmenge. Daher wird erwartet, dass das Drucksignal proportional zur absoluten Menge an Wasserstoffperoxid in der Lösung ist. Beim Wiederholen der Untersuchungen mit Proben verschiedener Konzentrationen an Wasserstoffperoxid sollte daher der Druckaufbau während des Tests proportional zur Konzentration an Wasserstoffperoxid sein. Abbildung 7 vergleicht die Aufheizergebnisse für die Proben 1 bis 6. Die entsprechenden Wasserstoffperoxidkonzentrationen sind in Tabelle 1 zusammengefasst.
Korrelation zwischen der Konzentration von H2O2 und dem Druck
Die Zersetzungsreaktion von Wasserstoffperoxid wird durch den Anstieg der Heizrate der gemessenen Proben sowie den Druckaufbau angezeigt. In Abbildung 8 ist das Signal des verbleibenden Drucks nach der Reaktion und der Abkühlung auf 42 °C ausgewertet. Es besteht eine nahazu perfekte lineare Übereinstimmung des Drucks mit der Wasserstoffperoxidkonzentration der Proben. Dies ist in Abbildung 9 wiedergegeben.
Verschiedene H2O2-Konzentrationen im ARC®-Modul
Eine ähnliche Serie an wässrigen Wasserstoffperoxidkonzentrationen wurde mit dem ARC®-Modul des MMC (Abbildung 3) untersucht. Die entsprechenden Wasserstoffperoxidkonzentrationen sind in Tabelle 2 zusammengefasst. Mit Hilfe des ARC®-Moduls kann speziell die Temperatur des Zersetzungsbeginns genau bestimmt werden. Dazu wird ein sogenanntes Heat- Wait-Search-Programm verwendet (HWS). Mit Hilfe der Sequenz aus Aufheizen, Equilibrieren und Detektieren wird unter quasi-isothermen Bedingungen die Eigenerwärmungsrate der Probe ermittelt und anschließend die Probe im adiabatischen Modus untersucht [1, 2]. Die Ergebnisse für die Wasserstoffperoxidkonzentrationen von 35 %, 17 % und 8,6 % sind in Abbildung 10 dargestellt. Erwartungsgemäß bestätigen die Ergebnisse einen geringeren Temperaturanstieg (ΔTobs) unter adiabatischen Bedingungen für geringere Wasserstoffperoxidkonzentrationen. Die Temperatur, bei der die Zersetzungsreaktion detektiert wird (Onset), ist für geringere Konzentrationen höher (90 °C und 110 °C) aufgrund der niedrigeren Energiefreisetzung. Die maximale Eigenerwärmungsrate für Wasserstoffperoxidkonzentrationen unter 5 % ist kleiner als 0,02 K/min. Deshalb werden in diesem Fall keine exothermen Prozesse detektiert. Die während der adiabatischen Segmente mehrerer HWS-Tests detektierten Temperaturanstiegsstufen (ΔTobs) sind in Abbildung 11 gezeigt.
Zusammenfassung
Diese Ergebnisse zeigen deutlich den Nutzen des Scanning- Moduls bei der Erkennung von potentiell gefährlichen Proben im Hinblick auf eine mögliche thermische Zersetzung. Bei stark exothermen Reaktionen steigt die Eigenerwärmungsrate siginifikant über den Wert von 1 K/min, der in etwa der Heizrate entspricht, die durch die konstante Leistungsaufnahme von 250 mW verursacht wird. Wenn eine unbekannte Probe eine exotherme Zersetzungsreaktion zeigt, so kann dies innerhalb weniger Stunden erkannt werden. Sobald ein Gefahrenpotential erkannt wird, wird eine adiabatische Prüfung mit dem ARC®-Modul des MMC empfohlen [1].
Ein solcher HWS-Test kann leicht vierundzwanzig Stunden in Anspruch nehmen, ist aber andererseits viel relevanter im Hinblick auf das thermische Gleichgewicht als ein Scanning-Test [2].
Darüberhinaus zeigen diese Ergebnisse sehr gut die Vorteile durch die gleichzeitige Erfassung des Drucksignals. Die kontante Leistungsaufnahme von 250 mW führt zu einer Heizrate von ca. 1 K/min für wässrige Proben von 1 g. Proben mit einer Wasserstoffperoxidkonzentration unter 5 % ändern diese Heizrate nicht messbar, was an der geringen Wärmetönung der Zersetzungsreaktion für niedrige Konzentrationen liegt. Das Drucksignal ist weder von der zugeführten Leistung noch von der daraus resultierenden Heizrate der Probe beeinflusst. Deshalb können Zersetzungsreaktionen selbst bei niedrigen Konzentrationen mit Hilfe des Drucksignals noch detektiert werden.