Charakterisierung optisch härtender Systeme mit UV-DSC

Einleitung

Lacke, Klebstoffe, aber auch Tinten, Druckfarben oder Vergussmassen werden zunehmend bei moderaten Temperaturen (oft bei Raumtemperatur) mit ultravioletter Strahlung gehärtet. Neben dem Aspekt der Energieeinsparung im Vergleich zu einer thermischen Aushärtung sind vor allem die hohen Prozessgeschwindigkeiten UV-induzierter Vernetzungen und die Umweltfreundlichkeit von UV-reaktiven Systemen für industrielle Anwendungen interessant. Durch den nur kurzzeitigen Energieeintrag heizen sich zu beschichtende Objekte außerdem kaum auf. Dadurch ist es möglich, diese Technik sogar für die Oberflächenbehandlung wärmeempfindlicher Substrate wie z.B. von Kunststoff folien, Holz oder Papier einzusetzen. UV-gehärtete Lackfilme besitzen in der Regel eine hohe Kratzfestigkeit und Chemikalienbeständigkeit.

Allerdings lassen sich die genannten Vorteile der Methode nur dann für die Herstellung qualitativ hochwertiger Produkte nutzen, wenn die Rezepturen der eingesetzten Reaktivsysteme für die UV-Härtung optimiert und die im Prozess benötigten Belichtungszeiten bzw. -intensitäten bekannt sind. Ideal zur Untersuchung lichtaktiver Stoffe und deren Aushärteverhalten sind Photokalorimeter, manchmal auch als Photo-DSC oder UV-DSC bezeichnet.

UV-Aushärtungen verlaufen sehr schnell

Charakteristisch für eine UV-Aushärtung ist, dass die Reaktion innerhalb von Sekunden erfolgt. Als Reaktionsmechanismen kommen kationische oder radikalische Polymerisationen infrage, d.h. Vernetzungen, die über einen Initiator (Starter) angestoßen werden, der unter Einwirkung von ultraviolettem Licht zerfällt und entweder eine ionische oder radikalische Kettenreaktion auslöst.

1) Schematischer Ablauf einer radikalischen Polymerisation (in Anlehnung an [1])

Die grundlegenden Prinzipien beider Reaktionstypen sind ähnlich [1]. Im Fall von UV-Beschichtungen handelt es sich meist um radikalische Polymerisationen (Schema siehe Abbildung 1). Die beim Zerfall des Photoinitiators gebildeten Radikale reagieren z.B. mit Doppelbindungen vorhandener Monomere, wobei wieder Radikale entstehen, die die Polymerisation aufrechterhalten. Bei fortschreitender Aushärtung wird das Material jedoch immer zäher und die Beweglichkeit der Reaktionspartner mehr und mehr eingeschränkt. Finden Radikale und Doppelbindungen nicht mehr zueinander, nimmt die Reaktionsgeschwindigkeit ab.

Kationische Polymerisationen haben gegenüber radikalischen Polymerisationen den Vorteil, gegen Sauerstoffeinwirkung unempfindlicher zu sein.

Aufbau und Funktionsweise der UV-DSC auf Basis der DSC 204 F1 Phoenix®

Die Dynamische Differenzkalorimetrie (abgekürzt DSC, abgeleitet vom englischen Begriff Differential Scanning Calorimetry) ist eine thermoanalytische Methode, bei der die Wärmestromdifferenz zwischen einer Probe und einer Referenz während eines kontrollierten Temperaturprogramms quantitativ erfasst wird (Definition basierend auf DIN 51 007, ISO 11357 - 1 oder ASTM E 472). Abbildung 2 zeigt das Wärmestromkalorimeter NETZSCH DSC 204 F1 Phoenix® mit UV-Aufsatz [2] (siehe auch schematischer Aufbau Abbildung 3). Probe und Referenz befi nden sich zusammen in einem Ofen und werden gemeinsam belichtet (blau dargestellt). Die Lichtwellenleiter sind fest im Deckel montiert. Mithilfe der automatischen Deckelhubvorrichtung ist sowohl die Justierung der Lichtwellenleiter als auch ein reproduzierbarer Abstand der Lichtwellenleiter zu Probe und Referenz gewährleistet. Die Ansteuerung der UV-Lampe erfolgt über die Mess-Software der DSC.

Im Laufe einer Messung werden als Signale die Probentemperatur und die Wärmestromdifferenz ermittelt. Durch Integration des Wärmestromsignals gelingt es, die während einer Aushärtung auftretenden Reaktionswärmen zu ermitteln und aussagekräftige Daten für Entwicklung oder Prozessoptimierung bereit zu stellen.

2) NETZSCH DSC 204 F1 Phoenix® mit Probenwechsler und Quecksilberdampflampe OmniCure® 2000 (es können jedoch verschiedene kommerzielle UV-Lampen eingesetzt werden)
3) Schematischer Aufbau eines Wärmestrom-DSC-Gerätes mit 4 Belichtungsaufsatz

Optimierung von Belichtungsdauer und Aushärtegrad mittels UV-DSC

Während des Entwicklungsprozesses geht es häufig darum, die „richtige“ Belichtungszeit zu finden, d.h. die Belichtungszeit, die notwendig ist, um den gewünschten AushärtegradMit Aushärtegrad wird der erreichte Umsatzgrad bei einer Vernetzungsreaktion (Aushärtung) beschrieben.Aushärtegrad und damit die gewünschten Materialeigenschaften zu erreichen. Bei produktionsbegleitenden Tests oder bei Untersuchungen im Rahmen von Qualitätssicherungsmaßnahmen ist eher der unter den gewählten Verarbeitungsbedingungen erzielte Grad der Aushärtung von Interesse. 

Klassischerweise heizt man in einer UV-DSC-Messung zunächst auf die erforderliche Reaktionstemperatur und ReaktionsenthalpieReaktionstemperatur und Reaktionsenthalpie können mit z.B. mit Hilfe der dynamischen Differenz Thermoanalyse (DSC) bestimmt werden. Das Verfahren dazu ist z.B. in der DIN EN ISO 11357-5 beschrieben.Reaktionstemperatur auf (in Abbildung 4 sind dies 30°C) und beginnt nach einer kurzen Stabilisierungsphase mit den Belichtungen. In der Regel werden mehrere isotherme Segmente programmiert, da zum einen die Gesamtreaktion oft nicht innerhalb einer Belichtungsphase abgeschlossen ist und zum anderen auf diese Weise zusätzlich auch das Systemverhalten berücksichtigt werden kann. Die Auslösung der UV-Lampe erfolgt jeweils erst einige Sekunden nach dem Segmentstart.

4) Typisches Temperaturprogramm für UV-Untersuchungen mit einer Photo-DSC

Abbildung 5 zeigt die Ergebnisse zweier Untersuchungen (dargestellt in rot und blau) an einem kommerziellen Lack auf Acrylatbasis mit unterschiedlichen Belichtungszeiten (0.5 s und 1 s). Wie erwartet erfolgt der Hauptteil der exothermen Reaktion in beiden Fällen während der ersten Belichtungsphase; die zugehörigen Reaktionsenthalpien fallen jedoch etwas unterschiedlich aus. Die längere Belichtungszeit (1 s) führt zu einer geringfügig erhöhten Reaktionstemperatur und ReaktionsenthalpieReaktionstemperatur und Reaktionsenthalpie können mit z.B. mit Hilfe der dynamischen Differenz Thermoanalyse (DSC) bestimmt werden. Das Verfahren dazu ist z.B. in der DIN EN ISO 11357-5 beschrieben.Reaktionsenthalpie von -283,4 J/g (gegenüber -236,4 J/g). Dieser Unterschied gleicht sich in den darauffolgenden Belichtungssegmenten annähernd aus. Das heißt, bei gleichbleibender Belichtungsintensität führt eine höhere Belichtungsdauer (blaue Kurve) im ersten Segment zu einem höheren partiellen Aushärtegrad und in den nachfolgenden Segmenten zu einer geringeren Nachhärtung. Dieser Zusammenhang ist in Abbildung 6 noch einmal deutlicher herausgestellt.

5) Vergleich zweier Photo-DSC-Messungen an einem Lack auf Acrylatbasis, rot: Belichtungsdauer 0,5 s, blau: Belichtungsdauer 1 s, Probenmassen: ca. 3 mg
6) Zusammenhang zwischen Reaktionsenthalpie und Belichtungsdauer

Ab etwa der 10. Belichtungsphase ändert sich die Enthalpie kaum mehr. Die zugehörigen Peaks sind auf das Systemverhalten zurückzuführen (siehe auch Ausschnittvergrößerung). Für exakte Auswertungen sollte die Enthalpie der letzten Belichtungsstufe deshalb von allen anderen Enthalpiewerten subtrahiert werden.

Setzt man die Enthalpien der ersten Belichtungsphase in Relation zur Gesamtenthalpie ergibt sich nach der ersten Stufe für die Belichtungsdauer von 1 s rechnerisch ein Aushärtegrad von ca. 82 %, für die Belichtungsdauer von 0,5 s ein Aushärtegrad von ca. 67 %. Je nachdem welcher Aushärtegrad für den praktischen Einsatz angestrebt wird, könnte – wenn die Schichtdicke im Prozess nicht wesentlich von der Schichtdicke im DSC-Tiegel abweicht – eventuell eine einmalige 1-sekündige Belichtung bereits ausreichend sein.

Sauerstoff als Inhibitor für Acrylatsysteme

Für den Reaktionsverlauf vieler optisch härtender Lacksysteme spielt der Sauerstoffgehalt eine entscheidende Rolle. Für Acrylatsysteme wirkt Sauerstoff als Inhibitor. Sein Wirkungsmechanismus wurde bereits in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts von G.V. Schulz und G. Henrici [3] beschrieben. Unter Anwesenheit von Sauerstoff bilden sich Peroxyradikale, die dazu führen, dass Sauerstoff in das Polymer eingebaut wird. Dabei entstehen relativ kurze Mischpolymerketten [4].

In Abbildung 7 ist der Einfluss des Sauerstoffgehaltes auf die Aushärtung unter ultraviolettem Licht von Hexandioldiacrylat (HDDA) dargestellt. Für den ungesättigten Acrylsäureester HDDA verringert sich die Reaktionsenthalpie mit zunehmender Sauerstoffkonzentration signifikant. Während in reiner Stickstoffatmosphäre die Reaktionsenthalpie -388 J/g beträgt, nimmt sie in einer Mischung aus 50 % Stickstoff und 50 % Sauerstoff auf ca. -268 J/g ab, um in reiner Sauerstoffatmosphäre schließlich nur noch -170 J/g zu betragen. Es ergibt sich ein linearer Zusammenhang zwischen Reaktionsenthalpie und Sauerstoffgehalt (siehe Abbildung. 8).

7) Einfluss des O2-Gehalts auf die UV-Härtung von HDDA, Belichtungsdauer: 1 s
8) Zusammenhang zwischen Sauerstoffgehalt und Reaktionsenthalpie

Fazit

Die NETZSCH DSC 204 F1 Phoenix® mit Belichtungsaufsatz zeichnet sich durch eine einfache Handhabung und eine spezifi sche Anpassung des Belichtungsaufsatzes aus. Der gasdichte Aufbau ermöglicht die Kontrolle der Atmosphäre im Probenraum, was gerade in Bezug auf den Restsauerstoffgehalt des Spülgases von ausschlaggebender Bedeutung ist. Die Belichtungseinheit lässt sich über die Mess-Software der DSC steuern. Parameter wie die Belichtungsdauer und die Belichtungsintensität können auf diese Weise im Messprogramm der DSC vorgewählt werden. Bei gesteigertem Messbedarf kann auch der automatische Probenwechsler (ASC) in Verbindung mit der Belichtungseinheit genutzt werden.

Die Dynamische Diff erenzkalorimetrie (engl. DSC) in Verbindung mit einer UV-Lampe eignet sich somit sehr gut zur raschen und unkomplizierten Untersuchung photoinitiierter Aushärteprozesse. Die Ergebnisse dieser Messungen ermöglichen Einblicke in die Aushärtemechanismen, liefern wichtige Informationen zur Verbesserung von Rezepturen (Inhibitoren, Photoinitiatoren, Füllstoffe) und helfen bei der Kontrolle von Prozessen

Der Artikel wurde (mit einer reduzierten Anzahl von Abbildungen) in der Zeitschrift Laborpraxis, Ausgabe Juni 2013, veröffenlicht.

Literatur

  1. [1]
    Reinhold Schwalm, UV Coatings – Basics, Recent Developments and New Applications, Elsevier, 2007.
  2. [2]
    NETZSCH-Prospekt zur Photo-DSC 204 F1 Phoenix®
  3. [3]
    G.V. Schulz und G. Henrici, Reaktionskinetik der Polymerisationshemmung durch molekularen Sauerstoff, Die makromolekulare Chemie 18/19, 1956,S. 437-454.
  4. [4]
    Polimerisationsinhibierung von (Meth)-Acrylaten, Doktorarbeit von Holger Becker, TU Darmstadt, 2003